WELT
Bei Kindern mit mathe-ängstlichen Eltern galt
Baku, 10. Oktober, AZERTAC
Wenn Eltern Angst vor Mathe haben, überträgt sich das oft auf ihre Kinder. Doch der Teufelskreis lässt sich durchbrechen - mit einer App, die Erwachsene und Kinder gemeinsam zum Knobeln bringt.
Mathematik spaltet die Menschen. Die einen lieben sie - die anderen bekommen Panik, wenn sie plötzlich Prozente berechnen sollen. Die Ängste haben sicher auch mit der gefühlten Gnadenlosigkeit zu tun, die das Fach ausstrahlt. Es gibt nur richtig und falsch, ein kleiner Fehler führt trotz eines ansonsten korrekten Lösungswegs zu einem Ergebnis, das nicht stimmt.
Angst vor Mathe haben nicht nur Kinder, die das Fach nicht verstehen oder fürchten, sich in der Klasse zu blamieren. Ängste treten auch bei Erwachsenen auf. Betroffene meiden dann alles, was mit Zahlen, Berechnungen oder Geometrie zu tun hat. Das wirkt sich auch auf den eigenen Nachwuchs aus: Studien haben gezeigt, dass Eltern mit Mathe-Phobie ihren Kindern kaum bei dem Fach helfen oder sie zum Rechnen motivieren.
Doch ein Experiment mit einer Mathe-App zeigt, dass dies kein Teufelskreis bleiben muss. Psychologen der University of Chicago haben 571 Erstklässlern ein Jahr lang ein Tablet zur Verfügung gestellt. Auf einem Teil der Geräte war eine Mathe-App installiert, die speziell für das gemeinsame Lernen von Eltern und Kindern konzipiert worden war. Die Kontrollgruppe bekam eine App, die zum gemeinsamen Lesen animiert. Die Familien konnten die Tablets einsetzen, wozu sie wollten. Sie wurden allerdings gebeten, die Lern-Apps zu benutzen, was die meisten auch taten, wenn auch unterschiedlich häufig.
Früher Input ist wichtig - Nach einem Jahr zeigte sich, dass Nutzer der Mathe-App ihre Leistungen im Fach Mathe stärker verbessert hatten als Nutzer der Lese-App. Das überrascht erst einmal kaum, denn wer übt, macht Fortschritte. Verblüffend war jedoch, dass jene Kinder am meisten profitierten, deren Eltern Angst vor Mathematik hatten. Diese Ängste hatten die Forscher vorab via Fragebogen ermittelt.
Die Forscher nutzten die gratis für iOS und Android angebotene App Bedtime Math. „Die App basiert auf psychologischen Theorien“, erklärt Marjorie Schaeffer von der University of Chicago. Sie berücksichtige, wie wichtig ein möglichst früher Input der Eltern gerade im Fach Mathematik sei.
Die App verzichtet bewusst auf Geräusche und effektvolle Animationen und soll von Eltern und Kindern gemeinsam benutzt werden. Eine typische Frage lautet: „Wenn man aus 2 Tassen Sahne 6 Tassen Schlagsahne macht, wie viele Tassen Luft stecken dann darin?“
Viel hilft nicht immer viel - Die Forscher konnten verfolgen, wie oft die Mathe-App in den Familien eingesetzt wurde. Die Nutzung ging im Verlauf des Schuljahres etwas zurück, wie Schaeffer berichtet. In den meisten Familien habe sich aber in diesem Zeitraum nicht allzu viel geändert.
Bei Kindern mit mathe-ängstlichen Eltern galt: Je häufiger die App benutzt wurde, umso stärker wuchs die Mathekompetenz. Bei Kindern aus mathe-affinen Elternhäusern war das anders. Die App verbesserte zwar die Leistungen der Kinder. Doch es war egal, ob diese im Schnitt 1,5 Mal pro Woche damit arbeiteten oder häufiger. Eine noch stärkere App-Nutzung bringt also nichts, die Kinder sind dann offenbar gesättigt mit Mathe-Inhalten.
Die Studie zeige, dass Eltern die Mathe-Künste ihrer Kinder nicht durch x-beliebige intellektuelle Übungen verbessern könnten wie etwa Lesen, schreiben die Forscher im Fachblatt „Science“. Es müssten schon mathematische Inhalte sein, selbst wenn das Üben dann nur einmal pro Woche geschehe.
Ablenkungen weglassen – „Die Erkenntnisse sind auch deshalb wichtig, weil der Markt für Lern-Apps ein Milliarden-Geschäft ist“, schreiben die Forscher. Es gebe kaum Studien über die Effizienz solcher Apps - und in den wenigen Studien werde mitunter nicht einmal ein Nutzen gefunden. Apps sollten auf alles verzichten, was ablenke, empfehlen die Forscher, also auf Videos, Töne, Animationen.
Die von ihnen genutzte Gratis-App Bedtime Math wurde von der Bedtime Math Foundation entwickelt, der Laura Overdeck vorsteht. Die mit ihr verbundene Overdeck Family Foundation wiederum hat die nun publizierte „Science“-Studie finanziell unterstützt. Unter anderem wurde allen Familien für die Dauer der Studie ein iPad mini zur Verfügung gestellt.