WELT
Chinas Wirtschaft
Baku, den 14. April (AZERTAG). Während Europa sich über den Aufschwung freut, drohen in China Rückschläge. Das Land ächzt unter hohen Schulden, das Wachstum erlahmt.
China schwächelt. Nein, das ist eine Untertreibung: Das Land steht vor ernsten Schwierigkeiten. Kommenden Mittwoch legen Pekings amtliche Statistiker erste Zahlen zum Wirtschaftswachstum im ersten Quartal vor. Negative Überraschungen sind zu befürchten. Für Ostermontag hat sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Peking angekündigt. Zeitgleich beginnt die China Autoshow, die Messe für den größten Hoffnungsmarkt der deutschen Industrie.
China, das war bisher der Fluchtpunkt deutscher Managerphantasien. Konzerne von Adidas bis Volkswagen haben sich dort mit Verve ins Geschäft gestürzt, umso mehr, als die europäischen Märkte in Folge der Krise darniederlagen. Das Land ist inzwischen ein zentraler Pfeiler des deutschen Wirtschaftsmodells: als Produktionsstandort, als fünftgrößter Export- und zweitgrößter Importmarkt. Handelsvolumen: mehr als 150 Milliarden Euro. Rechnet man alle deutschen Investitionen in China zusammen, so haben sie sich seit 2008 mehr als verdoppelt.
Dass die neue Mega-Ökonomie nicht auf ewig mit Raten von zehn Prozent und mehr wachsen würde, war klar. Doch nun mehren sich die Anzeichen einer harten Landung. In der vergangenen Woche veröffentlichte Peking neue Außenhandelszahlen, denen zufolge die Importe im März um 11,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen sind. Eine Momentaufnahme, natürlich, aber eine beunruhigende. Sie zeigt, dass in Chinas Binnenwirtschaft einiges im Argen liegt.
Boom auf Kredit - nun sitzt Chinas Wirtschaft auf hohen Schulden - China steht am Ende eines kreditfinanzierten Investitionsbooms. Nun sitzt die Wirtschaft auf hohen Schulden und Überkapazitäten. Banken und Schattenbanken haben in den vergangenen Jahren gigantische Summen an einheimische Firmen verliehen, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) diese Woche in seinem Bericht zur Finanzstabilität dargelegt hat. Die Verschuldung des Unternehmenssektors beträgt inzwischen mehr als 140 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. In Deutschland sind es 43 Prozent. In keinem anderen Schwellenland ist die Verschuldung der Firmen nach IWF-Angaben so stark gestiegen wie in China. In keinem anderen vergleichbaren Land haben die Banken seit 2008 so viel Geld verliehen - Forderungen, die sie nun womöglich teils abschreiben müssen.
Würden diese Zahlen aus einem anderen Land als der fernöstlichen Wunderökonomie stammen - der Rest der Welt wäre ernstlich beunruhigt.
Das Muster ist bekannt. Die Verschuldung der Privatwirtschaft hat untragbare Größenordnungen angenommen, dann bricht das Wachstum ein, und so manche Kredite platzen. Ähnlich war die Konstellation 2007 in den USA, in Großbritannien, in Spanien, in Irland - kurz vor dem großen Crash.
Sicher, die jüngste Wirtschaftsgeschichte muss sich nicht eins zu eins wiederholen. Immerhin hat China auch eine Menge Stärken: Die Gläubiger sitzen im Inland, nicht im Ausland. Die Kapitalmärkte sind vergleichsweise geschlossen, Kapitalflucht ist daher keine Gefahr. Die Banken haben, so IWF-Zahlen, eine solide Basis an Einlagen. Die Staatsverschuldung ist gering, das Land sitzt auf den mit Abstand größten Devisenreserven der Welt. Die Behörden haben Spielraum zum Gegensteuern, selbst wenn im Schattenbankensektor größere Zusammenbrüche drohen sollten. Eine schwache Auktion von niedrigverzinsten Staatsanleihen am Freitag hat allerdings gezeigt, dass Anleger sich inzwischen Sorgen um Chinas Stabilität machen.
Gefährliche Entwicklung für Deutschland - Über viele Jahre war China die Wunderökonomie der Welt. Gleichbleibend hohes Wirtschaftswachstum, rapide Modernisierung, eine Investitionsdynamik wie nirgends sonst auf der Welt. Besser noch: Egal, was passierte, China half, die Weltwirtschaft zu stabilisieren. So war es in der Asienkrise von 1997, nach dem New-Economy-Crash und dem 11. September 2001, in der großen Rezession von 2008/2009. Der Rest der Welt mochte Krisen und Verwerfungen durchleiden - China hielt Kurs und zog die anderen mit.
Diese Zeiten sind wohl erst mal vorbei. Wie viele andere Schwellenländer zuvor, stößt China an Entwicklungshürden, die sich nicht so leicht überwinden lassen: Staat und Gesellschaft müssen mit der Wirtschaft Schritt halten. Das ist schwieriger, als ein Land mit Fabriken, Straßen und Flughäfen vollzubauen.