WELT
Depression und Angst haben keinerlei Verknüpfung mit Kreativität
Für die einen handelt es sich schlicht um Sägearbeiten an Eisblöcken, für andere ist es Kunst mit eiskalten Figuren. Vereinen Menschen psychotische Züge und Anzeichen einer Hypomanie, sind sie oft auch kreativ
Die Hypothese, dass Kreativität und Wahnsinn eng miteinander verknüpft sind, geistert schon so lange durch die Kulturgeschichte, dass man gar nicht mehr genau weiß, wer sie eigentlich in die Welt gesetzt hat. Das ist im Grunde aber auch egal, denn entscheidend ist ja, ob sie denn stimmt, diese Hypothese. Trotz vielfältiger Bemühungen ist der Nachweis dessen bisher nicht gelungen.
Zu anekdotenhaft sind die Beweise bisher, berühmte Persönlichkeiten der Vergangenheit oder Einzelfälle der Gegenwart wurden dazu herangezogen. Das liegt einfach daran, dass nur wenige kreativ und wahnsinnig gleichzeitig sind. Zu wenige, um daraus eine für Wissenschaftler akzeptabel solide Datenbasis zu schaffen.
Diesem Problem sind Darya Zabelina, David Condon und Mark Beeman von der US-amerikanischen Northwestern University in ihrer neuen Studie aus dem Weg gegangen. Ihre Idee: Jeder Mensch kann auf dem Spektrum der Kreativität irgendwo verortet werden. Manchen fällt grundsätzlich immer etwas Originelles ein, manchen einfach nichts – und die meisten liegen irgendwo zwischen diesen Extremen.
Das Gleiche gilt für Züge der Persönlichkeit, die in ausgeprägter Form Symptome psychischer Erkrankungen sind. Auch auf diesen Dimensionen kann man Menschen verorten, abhängig davon, wie oft und wie intensiv sie bestimmte Gefühle fühlen oder Erfahrungen machen. Die Forscher haben sich also 100 nach eigenen Angaben psychisch gesunde Versuchsteilnehmer geschnappt und ließen sie einige Probleme lösen, die kreatives Denken anregen.
Ein Beispiel: „Welche Probleme könnten entstehen, wenn man auf Luft läuft?“ Wem hier nichts eingefallen ist, um dessen Kreativität war es nicht so gut bestellt. Die Wissenschaftler erfassten außerdem, ob es irgendwelche objektiven Indizien dafür gab, dass die Probanden kreative Menschen waren. Sie fragten nach Erfolgen, Preisen Stipendien, Veröffentlichungen – alles, was irgendwie auf originelles Denken schließen ließ.
Und schließlich mussten die Teilnehmer auch Fragen wie diese hier auf einer Skala beantworten: "Andere Leute finden mein Verhalten manchmal seltsam" oder "Ich habe so viele Interessen, dass ich manchmal nicht weiß, was ich als Nächstes tun soll". Das Ergebnis: Wer Fragen wie diesen sehr zustimmte, war auch mit höherer Wahrscheinlichkeit schon durch kreative Leistungen aufgefallen.
Die erste Frage stammte nämlich aus einem Fragebogen für psychotische Züge, die zweite aus dem für Hypomanie. Während Psychotizismus für Impulsivität, die Suche nach extremen Erfahrungen und ungewöhnliche oder unlogische Denkmuster steht, beschreibt Hypomanie einen Zustand, der von viel Energie, schnellen Stimmungswechseln und rasenden Gedanken gekennzeichnet ist.
Beide sind in ihrer extremen Ausprägung pathologisch: Psychotizismus kommt etwa bei der Schizophrenie vor, Hypomanie dagegen zum Beispiel in der Hochphase der bipolaren Störung. In mittleren Ausprägungen aber scheinen sie also durchaus mit Kreativität verknüpft zu sein.
Depression und Angst dagegen hatte keinerlei Verknüpfung mit Kreativität – eine Bestätigung früherer Studien, die das gleiche Ergebnis gefunden hatten.