WELT
Eines der ältesten Textfragmente des Koran entdeckt
Baku, 23. Juli, AZERTAC
Historische Textfragmente des Koran schlummerten jahrelang unbeachtet in der Bibliothek einer britischen Universität. Eine Studentin hat die Seiten nun genauer untersucht.
Forscher der britischen University of Birmingham melden eine kleine Sensation. Eine Handschrift des Koran, die in der Bibliothek der Hochschule archiviert ist, könnte eine der ältesten sein, die es weltweit gibt. Eine Radiokarbonmessung habe ergeben, dass das Textfragment in der Zeit zwischen 568 und 645 nach Christus entstanden ist, damit wäre die Handschrift weniger als zwei Jahrzehnte nach dem Tod des Propheten Mohammed (570-632) entstanden.
Die Universität weist in einer Pressemitteilung darauf hin, dass die Radiokarbondatierung stets nur eine grobe Einschätzung des Alters zulasse und es noch eine ganze Reihe anderer Handschriften in privaten Sammlungen gebe. Daher sei es unmöglich zu bestimmen, ob es sich tatsächlich um das älteste Textfragment des Koran handele.
Die nun analysierten Seiten des heiligen muslimischen Textes wurden bereits seit einigen Jahren in der Universitätsbibliothek archiviert. Sie stammen aus einer größeren Sammlung anderer Dokumente aus dem Nahen Osten. Die Blätter waren bislang irrtümlich mit anderen zusammengebunden, die aus dem späten 7. Jahrhundert stammen, berichtet Bibliotheksleiterin Susan Worrall. „Wir hätten nicht gedacht, hier ein derart bedeutendes Dokument zu finden.“
Alba Fedeli, die in Birmingham gerade an ihren Doktorarbeit schreibt, hat jetzt das Alter der irrtümlich verlegten Handschrift näher bestimmt. Alle neun Seiten des Koranfragments bestehen aus Pergament, zwei der Blätter enthalten Teile der Kapitel 18 bis 20 des Koran, erzählt sie. Die Blätter sind mit Tinte in einer frühen Form der arabischen Schrift, der Hijazi, geschrieben.
„Die Seiten stammen aus dem gleichen Kodex, der heute in der Bibliothèque Nationale de France in Paris aufbewahrt wird“, berichtet Fedeli. Die anderen sieben Seiten gehörten zu einer Handschrift, die in der Bibliothek von Petersburg zu finden ist.
Handschriften aus der frühen islamischen Zeit sind von besonderem Wert, weil sie wichtige materielle Zeugen der Textgeschichte des Koran darstellen. Er ist Leiter des Corpus-Coranicum-Projekts der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, das die Textgeschichte des Koran systematisch erforscht.
Aktuell seien rund 80 historische Fragmente des Koran bekannt, manchmal seien es nur wenige Seiten, manche Fragmente seien 100 Blatt stark. Insgesamt gelten derzeit mindestens 2000 Seiten aus dem ersten islamischen Jahrhundert, also vor 750 n. Chr., als Textzeugen des Koran. Sie sind meist in großen Universitätsbibliotheken archiviert.
Nach islamischer Tradition verkündete Prophet Mohammed die Offenbarungen, die im Koran verzeichnet sind, zwischen den Jahren 610 und 632 n. Chr., dem Jahr seines Todes. Zu diesem Zeitpunkt existierte die göttliche Botschaft nach islamischer Überlieferung aber noch nicht in der Buchform, in der es sie heute gibt. Stattdessen waren die Offenbarungen in „den Erinnerungen der Menschen“ erhalten, also vor allem mündlich festgehalten. Teile davon wurden auch auf Pergament, Stein oder Palmblättern verzeichnet.
Die Sammlung des Textes in Form eines Buches fand unter den ersten Kalifen statt, berichten islamische Quellen. Wann genau, bleibt noch unklar.
Viele westliche Forscher halten die Geschichte der heiligen Schrift der Muslime immer noch für umstritten. Sie gehen davon aus, dass der Islam erst nach 700 n. Chr. als Religion entstand. Ergebnisse von Radiokarbondatierungen wie nun aus Birmingham machten diese Hypothesen nun unwahrscheinlich.
Detaillierteres Wissen könnte das deutsch-französische Forschungsprojekt Paleocoran liefern, das im Juni gestartet ist. Darin sollen alle heute in westlichen Bibliotheken aufbewahrten Koranfragmente wie bei einem Puzzle digital wieder zusammengeführt werden. Langfristiges Ziel ist es, zu einer kritischen Edition des Korantextes zu gelangen. Die Fragmente aus Birmingham sind ebenfalls dabei.