WISSENSCHAFT UND BILDUNG
Forscher lüften Geheimnis der Quallen-Vermehrung
Baku, den 17. Januar (AZERTAG). Sie verleiden Badegästen den Urlaub und erobern das Ökosystem. Quallen werden immer öfter zur Plage, auch in Nord- und Ostsee. Jetzt haben Wissenschaftler den rätselhaften Lebenszyklus von Quallen entschlüsselt - und warnen prompt, das neue Wissen als Waffe gegen die Tiere einzusetzen.
Die Invasionen von Quallen auch in Nord- und Ostsee könnten sich nach neuen Erkenntnissen eindämmen lassen. Forscher haben nach eigenen Angaben herausgefunden, wie genau aus einem Polypen eine Qualle wird - und damit auch einen potentiellen Weg gefunden, die massenhafte Vermehrung der Tiere zu verhindern.
Wie das internationale Team im Fachblatt „Current Biology“ scheibt, hat es den Lebenszyklus der sogenannten Ohrenqualle Aurelia aurita und die dahinter liegenden Mechanismen entschlüsselt. Die Ohrenqualle ist in Nord- und Ostsee sowie im Atlantik verbreitet. Sie ist handtellergroß und nicht giftig, wächst im Frühjahr heran und stirbt jeweils im Winter.
Bereits bekannt war, wie aus Polypen Quallen entstehen: Aus einer Eizelle bildet sich zunächst eine Larve und daraus ein Polyp. Der Polyp sitzt fest, etwa an Schleusentoren, frisst und kann sich nicht fortbewegen. Er beschließt temperaturabhängig gegen Ende des Winters, dass aus ihm Quallen entstehen: Er sondert kleine Ringe ab, aus denen über Frühjahr, Sommer und Herbst Quallen heranwachsen, Geschlechtszellen produzieren und dann sterben. Der Kreislauf beginnt anschließend erneut: Aus befruchteten Eizellen entstehen Larven und daraus Polypen, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen können.
„Um aber eine Lebensform zu produzieren, die Geschlechtszellen herstellt und beweglich ist, muss der Polyp einen Umwandlungsprozess durchgehen“, erklärte Thomas Bosch, Direktor am Zoologischen Institut der Uni Kiel und Leiter des interdisziplinären Forschungszentrums „Kiel Life Science“. „Es ist wie eine Metamorphose.“ Jetzt habe das interdisziplinäre Team die molekulare Maschinerie analysiert, die den Übergang vom Polypen zur Qualle reguliere.
Molekül setzt Vermehrung in Gang - Die Forscher haben das von der Umgebungstemperatur abhängige Molekül CL 390 entdeckt, das auch bei der Metamorphose anderer Tiere eine Rolle spiele. „Erst wenn die Temperatur stimmt, wird dieses Molekül gemacht - es muss im Winter sehr kalt und dann wieder warm werden“, so Bosch. Wenn CL 390 aktiviert sei und ein bestimmtes Membranmolekül existiere, fange der Polyp an, aus sich heraus Quallen hervorgehen zu lassen.
„Wenn man dieses Molekül CL 390 - rein theoretisch - ausschalten könnte, dann würde es nicht mehr die Qualle Aurelia aurita geben“, sagte Bosch. „Die Idee geht dahin, ein synthetisches Molekül zu produzieren, das dieses CL 390 blockiert.“ Die Möglichkeit, chemische Blockierer anzuwenden, könnte nach dieser Studie ein Weg sein, die massenhafte Neubildung von Quallen gering zu halten, resümierte Bosch. Noch gebe es solche synthetischen Moleküle nicht.
Der Wissenschaftler betonte jedoch, solch massive Eingriffe in Lebensräume seien aus Sicht eines Biologen nicht gewollt und höchst riskant. Eine Art Impfung der Ostsee mit solchen Molekülen, wenn es sie denn eines Tages geben sollte, käme für ihn nicht in Frage: „Das hätte biologisch nicht vorhersehbare Konsequenzen.“ Bei der Studie habe die Klärung der Lebenszyklen im Mittelpunkt gestanden, nicht die Bekämpfung von Quallen.
In ihrem Fachbeitrag schreiben die Forscher, dass das neue Wissen zur Entwicklung von Substanzen führen könnte, mit denen sich Quallen-Invasionen kontrollieren ließen. In einer ergänzenden Pressemitteilung betonte Konstantin Khalturin, der die Studie in Kiel maßgeblich konzipierte und jetzt am Okinawa Institute of Science and Technology arbeitet, ähnliche Strategien seien in vergangenen Jahrzehnten zur Bekämpfung von Malaria und Pflanzenschädlingen verwendet worden. Es sei jedoch absolut notwendig, einen sicheren Gebrauch zu gewährleisten.