GESELLSCHAFT
In den Boden des Pazifiks hat Mikroorganismen aus zweieinhalb Kilometer Tiefe
Baku, 24. Juli, AZERTAC
Eine Bohrung in den Boden des Pazifiks hat Mikroorganismen aus zweieinhalb Kilometer Tiefe zutage gefördert. Die Wesen ernähren sich von Kohle - und sie stammen aus dem Wald.
Im Grund der Ozeane leben offenbar mehr Wesen als in den Meeren selbst. Eine 2466 Meter tiefe Bohrung vom Forschungsschiff „Chikyu“ im Nordwest-Pazifik beflügelt diese Vermutung.
Der bislang tiefste Stich eines Forschungsschiffes in den Meeresboden förderte vor der japanischen Halbinsel Shimokita bis in eine Tiefe von knapp zweieinhalb Kilometern Mikroben zutage. Die Organismen ernähren sich von Kohle, berichten Forscher im Wissenschaftsmagazin „Science“.
Nie zuvor seien lebende Organismen in solch großer Tiefe entdeckt worden, bestätigt die Biologin Julie Huber vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole in den USA, die nicht an der Studie beteiligt war. Der bisherige Rekord lag bei 1922 Metern.
Woher stammen die Wesen? Die Laboranalyse brachte eine Überraschung: Die Mikroben ähnelten nicht anderen im Meeresboden - sondern Kleinstorganismen aus Wäldern.
Der Befund lasse vermuten, dass die entdeckten Bakterien aus Landschaften stammen, die vor Jahrmillionen im Meer versanken, meinen die Studienautoren um Kai-Uwe Hinrichs vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (Marum) an der Universität. Die Organismen hätten offenbar 20 Millionen Jahre im Untergrund überdauert.
Spuren der untergegangen Wälder finden sich in der Umgebung der Mikroben: In der Tiefe liegen meterdicke Kohleschichten. Sie entstanden aus Landpflanzen, die nach ihrem Absterben von Sand zugedeckt und immer fester gequetscht wurden, bis sie zu Kohle wurden. Erdwärme heize die Umwelt der Mikroben auf 60 Grad auf, schreiben die Wissenschaftler.
Methangas im Sediment zeige, wovon die Organismen lebten: Im Labor haben die Forscher die Umwelt der Tiefe nachgebaut, dort wandelten die Mikroben Kohle zu Methan um. Die Analyse des Erbguts der Wesen ergab, dass sie mit einzelligen Urbakterien verwandt sind, die bereits in anderen Kohleschichten gefunden wurden.
Die Marum-Forscher vermuten in den Tiefen „das größte zusammenhängende Ökosystem der Erde“. Frühere Analysen hatten ergeben, dass sich das Erbgut vieler Untergrund-Mikroben aus verschiedenen Weltregionen - im Gegensatz zu den jetzt entdeckten - gleicht, egal ob sie unter Südafrika, Indonesien oder im Boden des Pazifiks lebten.
Wie ist die nahe Verwandtschaft über Distanzen von bis zu 16.000 Kilometern zu erklären, wo sich die Mikroben doch in ihrem Leben kaum von der Stelle bewegen und kein Wind sie verweht? Es handele sich anscheinend um eine Kerngruppe von Mikroben, die an ganz unterschiedlichen Orten auftrete, meint Frederick Colwell von der Oregan State University.
Die Wesen hätten sich wohl in der Frühzeit der Erde an einem gemeinsamen Ort entwickelt und wurden im Laufe der Jahrmilliarden mit der Drift der Kontinente in alle Welt verteilt. Sie könnten demnach die Urform des Lebens auf der Erde sein.
Tot und doch lebendig - Besonders staunen die Forscher über das Lebensalter mancher Mikroben. Sie bauen den lebensnotwendigen Kohlenstoff so langsam in ihren Organismus ein, dass die Zellen sich nur alle hundert bis 500 Jahre teilen könnten. Sie scheinen tot zu sein und sind doch lebendig.
Mit ihrer neuen Entdeckung seien sie womöglich nahe an die untere Grenze des tiefen Lebensraums gestoßen, meinen die Marum-Forscher: „In unseren Proben aus dieser Tiefe haben wir viel weniger mikrobielle Zellen entdeckt als erwartet“, sagte Biolog.
Zwar fände sich in zweieinhalb Kilometer Tiefe vor der japanischen Küste in einem Gramm Sediment tatsächlich nur noch durchschnittlich eine Zelle, sagte Biolog. Doch die Bohrung im Pazifik war nur ein Nadelstich - die Erforschung der Tiefenwesen habe erst begonnen, betont Huber: „Die Grenze ist noch nicht erreicht.“