GESELLSCHAFT
Muskeldystrophie bei Mäusen mit der Gentherapie behandelt
Baku, 7. Januar, AZERTAC
Forscher haben erstmals die erblich bedingte Muskeldystrophie Duchenne in Mäusen zumindest teilweise geheilt. Das gelang ihnen mit Hilfe der Genschere CRISPR. Erstmals wurde damit durch diese Methode eine erblich bedingte Erkrankung bei bereits erwachsenen Säugetieren geheilt, gibt AZERTAC unter Berufung auf das Fachmagazin "Science" bekannt.
Am 31. Dezember folgte die vorläufig letzte spektakuläre Erfolgsmeldung. Gleich drei Forschergruppen an der Duke University, der Harvard University und der University of Texas ist es unabhängig voneinander gelungen, erwachsene Mäuse, die unter Muskeldystrophie des Typs Duchenne litten, mit Crispr zu behandeln und dabei Hindernisse zu überwinden, vor denen Gentherapien zur Behandlung der tückischen Erbkrankheit bisher standen.
Die sogenannte Duchenne-Muskeldystrophie ist bei Menschen vergleichsweise häufig, sie tritt bei einem von 3500 männlichen Neugeborenen auf. Die Kinder landen früh im Rollstuhl und sterben oft vor ihrem 20. Geburtstag. Ursache des dramatischen Verlaufs der Krankheit ist ein Defekt im Eiweiß namens Dystrophin. Das Protein ist für die Stabilität der Muskulatur entscheidend. Drei Forschergruppen haben nun voneinander unabhängig im Tiermodell gezeigt, dass sich erbliche Defekte mit Crispr-Cas9 im erwachsenen Organismus gut behandeln lassen - sogar, ohne die Fehler exakt zu reparieren.
Mit Crispr-Cas9 lassen sich nahezu beliebige Veränderungen an Genen vornehmen sowie defekte Gene entfernen. Es ist damit prädestiniert für die Therapie von Erbkrankheiten auch beim Menschen. Während der Eingriff an Keimzellen und Embryos ethisch umstritten ist, gilt eine Gentherapie an erwachsenen Patienten eher medizinisch als heikel. Sie birgt schwer einzuschätzende Risiken. Bislang konzentriert sich die Forschung auf Zellen des Blutsystems, also Knochenmark oder Zellen, die sich aus dem Blutstrom filtern lassen - und die außerhalb des Körpers für die Behandlung verfügbar sind.
Mit dem unmittelbaren Einsatz im Körper zögert man bislang, weil dafür Genfähren nötig sind. Meist sind dies Viren, die sich entweder selbst ins Erbgut einbauen oder andere unerwünschte Effekte mit sich bringen. Bislang scheiterten alle Ansätze an der mangelnden Präzision, mit der sich die Gewebe ansteuern und korrigieren ließen.
Die drei unabhängig forschenden Teams nutzten für ihre Studien nun jeweils die Kombination des präzisen Crispr-Systems mit einer ebenfalls vergleichsweise neuen Genfähre. Das Virus heißt Adenoassoziiertes Virus (AAV) und ist für Menschen in der Regel nicht gefährlich. Es gibt zwölf Varianten, die teils eine Vorliebe für ein Gewebe zeigen - zum Beispiel für die Muskulatur. Mit zwei solcher Varianten gelang es den Forschern an kranken Mäusen, den defekten Teil des Dystrophin-Gens wegzuschneiden.
Dieses "Exon-Skipping" führt zwar nicht zur kompletten Wiederherstellung des Dystrophins. Tatsächlich fand sich im Muskel der behandelten Tiere später nur wenig funktionsfähiges Eiweiß. "Diese Arbeit ist aber ein sehr schönes Beispiel dafür, dass für eine wirksame Therapie nicht immer die exakte und vollständige Reparatur eines Gens nötig ist", sagt Boris Fehse vom Universitätsklinikum in Eppendorf. Außerdem müsste nicht jede Zelle erfolgreich angesteuert werden, es reichten offenkundig einige wenige.
Zweifel hat aber auch Fehse noch. Der Gentherapieexperte sieht zwar die Reize des Ansatzes, vermisst jedoch zwei wichtige Aspekte in der Diskussion: Die Genfähren vom Typ AAV sind sehr stabil und produzieren immer neue Crispr-Cas9-Scheren in den Zellen. Sobald sie nichts mehr zu tun haben, schneiden sie womöglich wahllos herum. Und noch ein Problem ist laut Fehse ungelöst: Sowohl die Viren als auch das Bakterieneiweiß Cas9 könnten das Immunsystem auf den Plan rufen. Das gelte es dringend zu untersuchen, bevor es zu Tests an Patienten kommt.