GESELLSCHAFT
Seit Jahren aus küstennahen Ökosystemen
Baku, 18. März, AZERTAC
Seegurken sind Müllabfuhr und Recycling-Fabriken in einem - lebenswichtig für marine Ökosysteme. Die große Nachfrage chinesischer Gourmets bedroht die Tiere auf der ganzen Welt.
Haie? Faszinierende Räuber der Ozeane! Meeresschildkröten? Anrührende Methusaleme der marinen Lebensräume! Aber Seegurken? Wer würde die gänzlich unglamourösen Geschöpfe für schützenswert halten? Die Tiere gleichen langen Würsten, die sich durchs Bodensediment wühlen. Sie kommen in allen Weltmeeren vor und sind als Stachelhäuter eng verwandt mit Seeigeln und Seesternen.
Nahezu unbemerkt verschwinden die Seewalzen, wie sie auch genannt werden, seit Jahren aus küstennahen Ökosystemen. Weltweit plündern Fischer ihre Bestände. Und das nur aus einem Grund: um sie vor allem nach China zu exportieren. Dort kommen Seegurken, ähnlich wie Haifischflossen, als teure Delikatesse auf den Tisch - Trepang genannt.
Wie Ernst es um die bei fernöstlichen Feinschmeckern beliebtesten Arten steht, darüber berichtet jetzt der schwedische Ökologe Hampus Eriksson in der Fachzeitschrift „Biological Conservation“. Zwar konsumierten die Chinesen immer weniger Haiflossen. Ihr Heißhunger auf Trepang aber sei ungebrochen.
Sieben der etwa 70 kommerziell genutzten Arten stehen inzwischen auf der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN). „Die Nachfrage aus China heizt die Jagd auf Seegurken rund um den Globus an“, sagt Eriksson, der am Australian National Centre for Ocean Resources in Wollongong arbeitet und auch in der internationalen Forschungsorganisation Worldfish aktiv ist.
Nur selten gibt es Regeln oder Beschränkungen für die Gurken-Ernte an der Küste. Inzwischen ist die Fischerei laut Eriksson in über 20 Ländern nach der exzessiven Entnahme von Tieren ganz oder teilweise eingestellt worden - etwa in Indien, Tansania, Panama sowie den pazifischen Inselstaaten Papua-Neuguinea, Samoa und Vanuatu.
Tausende Dollar für ein Kilogramm - Auf dem chinesischen Markt erzielen getrocknete Seewalzen aberwitzige Preise. Am teuersten ist eine Art aus gemäßigten Breiten: Für die Japanische Stachelseegurke werden nach einem Report der Welternährungsorganisation FAO bis zu 3.000 US-Dollar pro Kilo bezahlt, die ursprünglichen Bestände sind um mehr als die Hälfte dezimiert. Die wertvollsten tropischen Arten kommen immer noch auf 140 bis 1.670 Dollar pro Kilogramm Trockengewicht.
Fischer bekommen allerdings nur einen Bruchteil dieser Summen. Dennoch ist die Jagd auf Seegurken lukrativ, weil es keiner teuren Ausrüstung bedarf. Oft werden Seewalzen noch ganz traditionell mit der Hand aufgeklaubt, von Tauchern oder Fischern, die durchs Wasser waten. Eine Chance zu entkommen haben die Bodenbesiedler nicht - sie sind schwimmunfähig. Die Jagd kann trotzdem gefährlich sein: Jüngst starben dabei 30 untrainierte Taucher in Mexiko.
Für marine Ökosysteme sind die Stachelhäuter von doppeltem Nutzen - als Müllabfuhr wie auch als Recycling-Fabriken. Seegurken zersetzen organisches Material im und auf dem Boden, etwa abgesunkene tote Algen oder die Ausscheidungen anderer Organismen, und geben Bestandteile davon wieder ins Wasser ab. Als Nährstoffe stehen sie dann der marinen Flora und Fauna wieder zur Verfügung - im Kreislaufsystem. „In tropischen Korallenriffen stellen Seegurken Kalzium für Meerestiere bereit, die es zum Aufbau ihrer Schalen oder Skelette brauchen“, erläutert Eriksson.
Bestände auch in Europa in Gefahr - Was passiert, wenn die eifrigen Wiederverwerter aus den Riffen und anderen Küsten-Ökosystemen verschwinden, können Meeresbiologen nicht genau sagen - sie kümmern sich bisher zu wenig um Seegurken und dergleichen. „Für marine wirbellose Tiere lassen sich nicht so viele Fördermittel einwerben wie für Fische, Korallen oder andere charismatische Meerestiere“, konstatierte der australische Seegurken-Experte Steven Purcell unlängst in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“. Dass noch immer zu wenig über die Tiere bekannt sei, mache es schwer, die Tiere zu schützen und das Ausmaß ihrer Bedrohung einzuschätzen.
Der Meeresbiologe Matthew Slater vom Alfred-Wegener-Institut für Polar-und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven geht davon aus, dass auch die europäischen Arten bald gefährdet sind. Nach Darstellung des gebürtigen Neuseeländers werden Seegurken zunehmend im Mittelmeer und Nordatlantik von Fangflotten aus Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und der Türkei gejagt. Dass auch die europäischen Seegurken-Bestände stark dezimiert werden, lasse sich „nur vermeiden, wenn die Seegurken-Fischerei in der EU so schnell wie möglich eingeschränkt wird“, wie Slater sagt.
China züchtet die heißbegehrte Japanische Stachelseegurke mittlerweile in großem Stil im eigenen Land und deckt so etwa ein Viertel seines Bedarfs durch Aquakulturen. Dies hat den wildlebenden Tieren bislang kaum geholfen, könnte aber langfristig ihre Bestände sichern. Auch AWI-Forscher Matt Slater hält Aquakulturen für eine ideale Lösung: „Seegurken leben ja von organischen Abfällen, die am Boden landen, und man könnte sie perfekt in schon bestehenden Lachsfarmen aufziehen.“ Fürsprecher in der Politik haben die Forscher aber bisher nicht gefunden.