WELT
Singvögel fliegen 2500 Kilometer nonstop
Baku, 1. April, AZERTAC
Leichtgewichte auf der Langstrecke: Kleine Singvögel können bis zu drei Tage ohne Unterbrechung übers Meer fliegen. Es sei eine riskante Flieg-oder Stirb-Reise, berichten Biologen.
Diese winzigen Singvögel begeben sich einmal im Jahr auf eine lebensgefährliche Reise: Trotz eines Körpergewichts von nur zwölf Gramm fliegen Streifenwaldsänger im Herbst auf dem Weg in ihr Winterquartier von Nord- nach Südamerika über den Atlantik - ohne Pause. In nur zwei bis drei Tagen legen sie dabei zum Teil eine Strecke von mehr als 2500 Kilometern zurück, berichtet ein internationales Forscherteam im Fachblatt „Biology Letters“ der Royal Society.
Vor dem Start füllten die Vögel ihre Fettspeicher, erläuterte Studienleiter Ryan Norris von der kanadischen University of Guelph. „Sie fressen so viel wie möglich, manchmal verdoppeln sie ihren Körperfettanteil, sodass sie fliegen können, ohne Fressen oder Trinken zu müssen. Es ist eine Flieg-oder Stirb-Reise, die viel Energie erfordert.“
Die Vögel mit dem wissenschaftlichen Namen Setophaga striata verbringen den Sommer in den Wäldern Nordamerikas und überwintern im nördlichen Südamerika. Schon seit mehr als 50 Jahren vermuten Experten, dass die Vögel dorthin auf dem kürzesten Weg fliegen - über den Atlantik. Bewiesen war das aber bisher nicht. Ein Flug über das offene Meer scheint auf den ersten Blick ein ziemlich merkwürdiges Verhalten für einen kleinen Landvogel zu sein, der sich am liebsten im Schutz von Sträuchern und Bäumen bewegt. Eine Landung auf dem Wasser wäre tödlich.
In 18 Stunden: Kap Hatteras – Caicosinseln - Dass diese Singvögel die gefährliche Reise dennoch wagen, belegten die Forscher um William DeLuca von der University of Massachusetts (Amherst/US-Staat Massachusetts) nun mithilfe von sogenannten Helldunkel-Geolokatoren. Diese kleinen Geräte besitzen eine Photozelle, welche die Lichtstärke über den Verlauf des Tages misst. Kennt man den Zeitpunkt des Mittags und die Länge des Tages, kann man auf die geografische Position zurückschließen, da diese mit dem Längen- und Breitengrad in Zusammenhang stehen.
Lichtdunkel-Geolokatoren sind nur etwa ein Gramm schwer und damit wesentlich leichter als herkömmliche Satellitensender; selbst der Streifenwaldsänger kann dieses Gewicht tragen.
Die Wissenschaftler befestigten solche Geolokatoren an 37 Vögeln, die sie in Kanada beziehungsweise im Bundesstaat Vermont der USA gefangen hatten, bevor sich die Tiere im Herbst auf die Reise gen Süden machten. Fünf Geolokatoren konnten sie im darauffolgenden Frühjahr wieder einsammeln, als die Vögel in ihr Sommerquartier zurückkehrt waren. Die Datenauswertung belegte zweifelsfrei, dass die Vögel über den Atlantik fliegen, schreiben die Forscher.
Fluggeschwindigkeit über 80 km/h - Vier der Vögel seien in Neuschottland aufgebrochen und auf der Insel Hispaniola beziehungsweise auf Puerto Rico angelandet. Ihre Flugstrecke habe zwischen 2270 und 2770 Kilometern betragen, sie benötigten dafür zwischen 49 und 73 Stunden. Die Fluggeschwindigkeit lag der Studie zufolge damit zwischen 38 und 48 Kilometer pro Stunde (km/h). Der fünfte Vogel startete am Kap Hatteras an der Ostküste der Vereinigten Staaten und landete 18 Stunden später auf den Turks- und Caicosinseln. Er war 1500 Kilometer über offenen Meer mit über 80 km/h geflogen.
Vermutlich nehmen nicht alle Streifenwaldsänger den Meerweg Richtung Süden. In schlechter körperlicher Verfassung oder bei schlechter Witterung wählten einige den Landweg. Warum trotzdem viele der kleinen Singvögel die gefährliche Reise über das Meer wagten, sei nach wie vor unklar, schreiben die Forscher. Die Wanderungen seien die risikoreichsten Zeiten im Jahr eines Singvogels - vielleicht sei es sinnvoll, sie so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.