WISSENSCHAFT UND BILDUNG
Der Computer-Lüfter wird mit Graphen überflüssig
Baku, den 15. März (AZERTAG). Die NSA benötigt täglich 6,5 Millionen Liter Wasser zum Herunterkühlen der Computer. Neue Konzepte für stromsüchtige Rechner werden dringend gebraucht. Graphen wäre da eine Lösung für moderne Chips.
Schon unseren Großeltern half ein spitzer Bleistift beim Rechnen. Wenn die Träume der Festkörperphysiker wahr werden, könnte das Basismaterial des klassischen Schreibgerätes bald eine Renaissance erfahren und an die alte Bedeutung anknüpfen. Denn die Mine besteht aus dem Kohlenstoff Graphit, und das könnte als Basis für „grüne PCs“ dienen. Allerdings in einer ganz bestimmten, erst seit wenigen Jahren bekannten Form: dem Graphen (gesprochen mit langem „e“). Vor allem das notorisch stromsüchtige Rechnerherz – die CPU – soll nicht länger der Heizofen des Rechners sein.
Unfreiwillig wirken die Verbindungsleitungen zwischen den 2,4 Milliarden Transistoren auf einem aktuellen Computerchip wie die Widerstandsdrähte in einem Heizkissen. Nur ein Bruchteil des Stromes dient wirklich dem Rechnen. Der Rest produziert Abwärme, die ein Lüfter beseitigen muss, um den Chip vor dem Hitzetod zu bewahren. In einem verlustarmen Leiter würden die Elektronen ohne Hindernisse durch die Gitterstruktur gleiten, das Material bliebe kühl, der Stromverbrauch würde dramatisch sinken und der Lüfter wäre überflüssig.
Genau so verhält sich die Graphen-Struktur, die Professor Christoph Tegenkamp und sein Team an der Universität Hannover im Jahr 2013 im Labor erzeugten und untersuchten. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse sorgten in der Fachwelt für Aufsehen. Durch einfaches Heizen eines nanostrukturierten Siliziumcarbid Kristalls entstehen an den Kanten kleinste Graphen-Strukturen. Diese Modifikation leitet den Strom drei bis vier Größenordnungen besser als die bisher veröffentlichten Proben. Und das bei Zimmertemperatur.
Kein Ohmmeter aus dem Kaufhaus - Die Wissenschaftler messen den Widerstand natürlich nicht wie normale Zeitgenossen mit dem Ohmmeter aus dem Kaufhaus, sondern mit einem 1,25 Millionen Euro teuren 4-Spitzen STM/SEM, das die Vorteile eines Rasterelektronenmikroskops (SEM) mit denen eines Rastertunnelmikroskops (STM) vereint. Dieses ist weit empfindlicher als klassische Widerstandsmesser und kann mit Hilfe seiner feinen Spitzen atomgenau positioniert werden.
Die Wissenschaftler reden auch nicht von „Widerstand“, sondern von Streuungen der Elektronen an Störstellen im Leiter. Genau diese Streuungen haben sie minimiert. Die Elektronen rauschen durch das Graphen wie ein Tennisball durch die Luft. Ursache ist der Einfluss der Graphen-Ränder, die bei 1300 Grad Celsius in einem zickzackförmigen Muster aufwachen, wenn man die Substanzen im Ofen geeignet orientiert.
„Durch die Modifikation der Ränder sank der elektrische Widerstand des Streifens mindestens um den Faktor Tausend. Er ist jetzt fast nicht mehr messbar und nahezu null“, erklärt Tegenkamp, „so entstand ein perfekter Leiter.“
Massive Drähte aus Graphen - Ideale Leiter werden überall in der Technik sehnsüchtig erwartet, doch noch spekuliert kein ernst zu nehmender Physiker über die Möglichkeit, aus den winzigen Graphen-Proben vielleicht einmal massive Drähte für Magnete oder für Stromtrassen zu fertigen. Schon zu viele Wundermaterialien sind auf dem Weg vom Labor in die Großtechnik an unüberwindlichen Schwierigkeiten gescheitert, an die zuvor niemand gedacht hatte.
Am weitesten sind die Techniker aktuell bei der Integration der Graphene in die Mikroelektronik. Es gibt viele hoffnungsvolle Ansätze und der Leidensdruck ist groß. Die Abwärme der Mikroprozessoren ist kaum noch zu bewältigen.
Es läge nahe, die Taktraten der Chips vom Gigahertz- in den Terahertz-Bereich zu verschieben. Doch da stößt das Ausgangsmaterial Silizium an seine physikalischen Grenzen. Graphen dagegen – das zeigten Experimente bei IBM in den USA – kommt problemlos mit solch hohen Frequenzen klar. Am 30. Januar 2014 stellten IBM Forscher den zurzeit am weitesten entwickelten Graphen-Chip vor. Es handelt sich noch um ein Labormuster, aber es ist bereits ein voll funktionsfähiger Chip.
Supercomputer soll Geheimnis lüften - Hundertprozentig verstanden ist das neue Material aber noch lange nicht. Bereits eine winziger, nur 200 mal 200 Atome große Streifen enthält 40.000 Atome. Für alle Atome und alle Elektronen im Streifen müssen komplizierte, quantenmechanische Gleichungen gelöst werden. Eine exakte Berechnung scheidet wegen des großen Rechenaufwandes aus. Näherungsverfahren sind gefragt.
Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich Professor Tim Wehling vom Institut für Theoretische Physik der Uni Bremen. Er hat bereits Rechenzeit bei den Superrechnern des Norddeutschen Verbundes für Hoch- und Höchstleistungsrechnen avisiert, um mit Hilfe der „Quanten-Monte-Carlo-Simulation“ dem neuen Material einiges von seinen Geheimnissen zu entlocken. Diese Hinweise werden dann bei der Fertigung weiterer Proben berücksichtigt. In einem guten halbe Jahr sollen die Ergebnisse der Berechnungen vorliegen. Dann werden die Experimente weiter gehen.