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Heuschrecken-Hirn verrät Riechmechanismus
Baku, den 29. November (AZERTAG). Gerüche können eine Lawine von Erinnerungen und Gefühlen auslösen. Was genau dabei im Gehirn geschieht, ist jedoch rätselhaft. Antworten liefern jetzt Heuschrecken. Forscher haben die Tiere in Duftwolken gehüllt und ihre Hirnaktivität gemessen.
Egal ob Weihnachtsplätzchen im Ofen duften oder ein T-Shirt nach dem Parfum des verflossenen Partners riecht. Gerüche können plötzlich eine Vielzahl an Eindrücken, Erinnerungen und Gefühlen auslösen. Nur ein paar Moleküle, die unsere Geruchsrezeptoren reizen, reichen dafür aus. Der Prozess des Riechens und die damit verbundenen Vorgänge im Gehirn geben Neurowissenschaftlern und Biologen aber noch immer Rätsel auf. Welche Signale werden verarbeitet? Und wie können wir einzelne Düfte herausriechen und erkennen?
Biologen der Washington University in St. Louis haben nun versucht, mit Hilfe von Heuschrecken Antworten zu finden. Die Forschern um Barani Raman setzten für ihre Untersuchung Amerikanische Grashüpfer ein. Schistocerca americana eignet sich besonders gut für die Erforschung des Riechens, da sie ein verhältnismäßig einfaches Nervensystem hat. Die Geruchsrezeptoren in ihren Fühlern ähneln den Sinneszellen, die sich auch in der menschlichen Nase befinden.
Wie die Forscher im Fachblatt „Nature Neuroscience“ schreiben, trainierten sie den Tieren zunächst ein spezielles Verhalten an. In einer Kammer setzten sie die Heuschrecken zunächst einem speziellen Geruch aus. Eine computergesteuerte Pumpe verströmte eine Duftwolke. Mit einer Verzögerung von nur einigen Sekunden fütterten die Biologen daraufhin die Tiere mit einem Stückchen Gras als Belohnung.
Pawlowsche Heuschrecke statt pawlowschem Hund - Nach einer Weile stellte sich das Ergebnis ein. Sobald die konditionierten Labortiere den Duft rochen, begannen ihre Kieferwerkzeuge zu mahlen - noch bevor es Futter gab. Die Forscher werten das als messbares Zeichen dafür, dass die Insekten den Geruch wiedererkannten, den sie mit der Fütterung verbanden. Anschließend versuchten die Biologen, verschiedene Düfte zu überlagern und die Heuschrecken zu verwirren. Zwar reagierte der Geruchssinn der Tiere anders, als die vordergründigen Gerüche mit anderen Duftstoffen vermengt waren, doch konnten die Forscher wiederkehrende Signalmuster der Nervenzellen erkennen. Die Tiere erkannten die Stoffe und reagierten wie erwartet darauf.
Auch wenn die Wissenschaftler auf eine solche Reaktion gehofft hatten, überraschte sie die Geschwindigkeit, mit der die Insekten den Geruch identifizierten. „Es dauert nur einige hundert Millisekunden, bis das Heuschrecken-Gehirn begann, einen neuartigen Geruch in seiner Umgebung wahrzunehmen“, sagte Bio-Ingenieur Raiman. „Sie sind in der Lage, chemische Signale extrem schnell zu verarbeiten.“
Heuschrecken als Blaupause für künstliche Nasen - Mit einer ganzen Reihe von Studien planen die Wissenschaftler nun die Prinzipien, die hinter der Verarbeitung von Gerüchen stehen, zu entschlüsseln. Allerdings lassen sich die Ergebnisse nicht unbedingt auf Menschen übertragen, räumt Raman ein. Die Geruchsverarbeitung könnte bei den Tieren anders ablaufen. Jedoch könne die Forschung dazu beitragen, die Signalverarbeitung und auch die Übermittlung von Duftinformation generell besser zu verstehen.
Ziel der Forscher ist es, auf lange Sicht nicht-invasive chemische Sensoren weiterzuentwickeln. Die könnten beispielsweise in der Medizin eingesetzt werden, um flüchtige oder auch empfindliche Chemikalien aufzuspüren. Auch bei der Sprengstoffsuche wären bessere und vor allem schnellere künstlichen Nasen nach natürlichem Vorbild nützlich. Das könnte ein Grund sein, warum auch das Office of Naval Research des US-Verteidigungsministeriums einen Teil der Forschung finanziell unterstützt hat.