WELT
Hun Sen und seine Geisterwähler
Baku, den 27. Juli (AZERTAG). Kambodscha ist im Wahlfieber: Wird Premierminister Hun Sen nach 28 Jahren Alleinherrschaft abgelöst? Die Vergangenheit spricht dagegen, die EU glaubt nicht mehr an eine faire Abstimmung - und schon jetzt wurden Fälschungen der Wahllisten bekannt.
Am Freitagabend, kurz vor Ende des Wahlkampfes, bricht der Verkehr zusammen. Tausende verlassen in ihren Autos die Stadt, um am Sonntag in ihrer Heimatprovinz zu wählen. Am Straßenrand winken, singen, schreien unzählige junge Leute. Sie stehen in dichten Reihen, drängen auf die Fahrbahn und schwenken Fahnen und Plakate, halten sieben Finger in die Höhe. Auf Liste „Sieben“ kandidiert die Opposition.
Phnom Penh im Wahlkampffieber: Mehr als neun Millionen Kambodschaner sind dazu aufgerufen, eine neue Regierung zu wählen. Die Frage: Jagen sie ihren Premierminister Hun Sen, der mit seiner Kambodschanischen Volkspartei (CPP) das Land seit 1985 ununterbrochen regiert, davon? Seine stärkste Konkurrenz ist die Kambodschanische Nationale Rettungspartei (CNRP), ein Zusammenschluss aus zwei Oppositionsgruppen.
„Ich wähle die Rettungspartei“, sagt ein Chauffeur: „Fast 30 Jahre Hun Sen sind genug. Er und seine Freunde haben sich lange genug die eigenen Taschen gefüllt. Sie haben sich nicht um das Volk gekümmert. Wir brauchen einen Wechsel.“
Kambodschaner und ausländische - Nichtregierungsorganisationen allerdings sind nicht davon überzeugt, dass der gelingen wird. Denn auch bei dieser Wahl geht es nach ihrem Eindruck nicht mit rechten Dingen zu. Hun Sen, der eine starke private Leibgarde kommandiert und das Land nach Manier eines Gutsherren regiert, sprach bereits von der Gefahr eines Bürgerkrieges, falls die Opposition siegen sollte.
Erfundene Wähler auf den Listen - Das verstanden viele Kambodschaner als Drohung, er werde auf keinen Fall die Macht abgeben. Der Mann hat darin Übung: Bereits 1993 verlor er die damals von der Uno beaufsichtigten Wahlen und weigerte sich dennoch, seinen Platz zu räumen. Schließlich koalierte er mit einer royalistischen Partei, die er später wegputschte.
Die CPP kontrolliert die kambodschanischsprachigen Medien, Veranstaltungen der Opposition bleiben oft unerwähnt. Funktionäre drohen in der Regel vor Wahlen Landbewohnern damit, den Geldhahn zuzudrehen, falls sie sich gegen die Regierungspartei entscheiden sollten. Tausende von Kambodschanern fanden sich nicht auf den Wahllisten, dafür standen andere Namen drauf. Diese „Geister“, so der Verdacht, werden alle für die CCP stimmen.
Hun Sen hat längst eine Atmosphäre der Angst geschaffen. Auf dem von der Regierung kontrollierten Zentralmarkt hängen nur CPP-Plakate. Als Händler zu einer Oppositionsveranstaltung ziehen wollten, trieben sie bewaffnete Wachen zurück. „Wir wagen es nicht, etwas zu sagen. Wir stehen unter ihrer Verwaltung“, sagte eine Juwelierin der englischsprachigen „Phnom Penh Post“. Die Inhaberin eines Friseursalons: „Selbst wenn ich Wahlmaterial der Rettungspartei hätte, ich würde es nicht wagen, es zu zeigen.“
Proteste machen wenig Sinn, die EU hat es aufgegeben, Wahlbeobachter nach Kambodscha zu schicken. In der Kommission, die für faire Wahlen sorgen soll, sitzen in der Mehrheit CPP-Leute. Dieses Gremium entschied auch, dass Hun Sens traditioneller Hauptrivale, Sam Rainsy, nicht an den Wahlen teilnehmen darf.
Er war 2009 nach Paris geflohen, nachdem ihn ein Gericht zu elf Jahren Haft verurteilt hatte, weil er an der Grenze zu Vietnam Grenzpfähle niedergerissen hatte. Vor wenigen Wochen wurde er überraschend begnadigt - offenbar eine Geste Hun Sens an die internationalen Geldgeber und Wirtschaftspartner, die sein rüder Umgang mit politischen Gegnern beunruhigt.
Textilexporte schaffen Arbeitsplätze - Zehntausende begrüßten den Rückkehrer in den Straßen Phnom Penhs, in den letzten Tagen tourte Sam Rainsy eifrig für seine „Rettungspartei“ durch das Land und schlug heftige nationalistische Töne gegen den Nachbarn Vietnam an. Hun Sen war in den achtziger Jahren Außenminister der von den Vietnamesen nach ihrem Einmarsch installierten Regierung, dann mit ihrem Segen Regierungschef.
Seitdem herrscht Hun Sen mal in Zivil, mal in Uniform über das Land der Khmer - und verkörpert das Scheitern eine großen Experiments in Sachen asiatischer Demokratie. Nach den Schreckensjahren der Roten Khmer in den siebziger Jahren, die schuld am Tod von rund zwei Millionen Menschen waren, und nach vietnamesischer Besatzung hatte die Uno 1993 die ersten freien Wahlen organisiert und gehofft, Kambodscha werde ein demokratisches Musterland in Asien.
Das Land ist zwar immer noch bitterarm, doch es geht aufwärts. Kambodschas Wirtschaft wuchs im letzten Jahr um 7,2 Prozent. Vor allem Textilexporte nach Europa bringen Geld und schaffen Arbeitsplätze. Die Opposition hingegen warb mit Mindestlöhnen für Arbeiter und Gehaltserhöhungen für Beamte.
Die nahe Zukunft verheißt nichts Gutes. Zahlreiche Kambodschaner fürchten Gewaltausbrüche, sollte die CCP die Wahlen wieder gewinnen. Und wenn sie verliert, könnte es gar noch schlimmer kommen.