GESELLSCHAFT
Nobelpreisträger untersuchten, wie Zellen beschädigte DNA reparieren
Baku, 9. Oktober, AZERTAC
Die Erbgutforscher Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar werden mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Ihre Arbeit beschäftigt sich damit, wie Zellen beschädigte DNA reparieren.
Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an Tomas Lindahl aus Schweden, Paul Modrich aus den USA und an Aziz Sancar, der die türkische und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Die drei wurden für Arbeiten zur Erbgutreparatur ausgezeichnet. Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit.
Die Nobelpreisträger untersuchten, wie Zellen beschädigte DNA reparieren und damit ihren genetischen Code schützen. Das Wissen könnte dazu beitragen, neue Heilmethoden gegen Krebs zu entwickeln.
Lindahl (77) ist emeritierter Professor am Francis Crick Institute in Großbritannien. Modrich (69) arbeitet am Howard Hughes Medical Institute und an der Duke University School of Medicine in Durham, im US-Bundesstaat North Carolina. Sancar (69) forscht an der University of North Carolina in Chapel Hill, USA. Er wurde in Savur in der Türkei geboren.
Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) trägt die grundlegenden Informationen über das Erbgut von Lebewesen, sie bestimmt Körperfunktionen und Aufbau des Organismus. Die winzigen DNA-Moleküle sind geformt wie Wendeltreppen, jedes bildet eine sogenannte Doppelhelix. Schäden in der DNA können schwere Krankheiten auslösen.
Würde man einen DNA-Strang auseinanderziehen, wäre er etwa zwei Meter lang. Der menschliche Körper besteht aus vielen Billionen Zellen - aneinandergereiht ergäben die DNA-Stränge eines Erwachsenen 250-mal die Strecke bis zur Sonne und zurück.
Der Werkzeugkoffer - Die DNA ist zu Chromosomen zusammengerollt, in jeder menschlichen Zelle befinden sich normalerweise 46 Chromosomen. Bei jeder Zellteilung muss die DNA verdoppelt werden. Das geschieht durch Kopiervorgänge, die fehleranfällig sind.
Reparaturenzyme sorgen zwar dafür, dass viele Fehler ausgemerzt werden - aber nicht alle. Mutationen entstehen, die an die Tochterzellen weitergegeben werden. Sie entstehen, wenn DNA-Bausteine ausgetauscht oder hinzugefügt werden oder verloren gehen.
Erbgutinformationen von Krebszellen und deren Vorläuferzellen verändern sich besonders häufig, sie haben eine hohe Mutationsrate. Viele dieser Schäden lassen Zellen sterben. Bei einigen aber häufen sich die genetischen Schäden und führen zum Wachstum von Tumoren.
Die drei Nobelpreisträger untersuchten den Werkzeugkoffer, mit dem eine Zelle ihre beschädigte DNA repariert. DNA kann etwa durch UV-Strahlung beschädigt werden, durch sogenannte freie Radikale oder durch krebserregende Stoffe.
Spontane Veränderungen - Die DNA wird nicht nur von außen beschädigt. Es gibt täglich Tausende von spontanen Veränderungen am Erbgut. Außerdem können Defekte auftreten, wenn sich die Zelle teilt und sich die DNA dabei kopiert - dieser Prozess tritt mehrere Millionen Mal am Tag im menschlichen Körper auf.
Paul Modrich entdeckte, wie die Zelle auf Fehler bei der Zellteilung reagiert: Durch einen eingebauten Mechanismus kann sie die Anzahl an Fehlern in ihrem Code um den Faktor Tausend verringern. Durch Geburtsfehler kann der Mechanismus beschädigt werden, wodurch eine vererbbare Variante von Darmkrebs entstehen kann.
Auch die anderen Preisträger konnten Mechanismen entschlüsseln, wie Zellen ihre DNA überwachen und reparieren.
Tomas Lindahl konnte zeigen, dass die DNA in so hohem Tempo zerfällt, dass eigentlich Leben auf der Erde unmöglich scheint. Diese Erkenntnis führte ihn zu der Entdeckung eines Mechanismus, der dem Zerfall der DNA entgegenwirkt.
Aziz Sancar entdeckte, wie Zellen ihre DNA reparieren, nachdem diese durch UV-Strahlung beschädigt wurde. Menschen, die ohne diesen Mechanismus geboren werden, erkranken an Hautkrebs, wenn sie dem Licht der Sonne ausgesetzt sind.
Erster wissenschaftlicher Nobelpreisträger aus der Türkei – „Schäden an DNA können sehr ernsthafte Folgen haben“, sagte Nobel-Juror Claes Gustafsson bei der Zeremonie in Stockholm. Die Entdeckungen der drei Forscher hätten enorme Konsequenzen gehabt. „Das Leben, wie wir es heute kennen, ist vollständig abhängig von DNA-Reparaturmechanismen“, sagte die Vorsitzende der Nobel-Jury, Sara Snogerup Linse.
Tomas Lindahl hat die Nachricht von der Auszeichnung überrascht. „Ich wusste, dass ich über die Jahre für den Preis in Betracht gezogen worden bin, aber das sind hundert andere genauso“, sagte der per Telefon aus London zugeschaltete Schwede bei der Nobel-Pressekonferenz am Mittwoch in Stockholm. „Ich fühle mich sehr glücklich und bin stolz darauf, heute ausgewählt worden zu sein.“
Mit Aziz Sancar wird erstmals ein Wissenschaftler mit dem Nobelpreis geehrt, der aus der Türkei stammt. Sancar wurde 1946 in Savur in der Provinz Mardin im Südosten des Landes geboren. Seine Eltern waren Analphabeten. Er ging früh in die USA und forscht dort noch heute.
Der Chemie-Nobelpreis ist die höchste Auszeichnung für Chemiker und ist seit 2012 mit rund 850.000 Euro (acht Millionen Schwedische Kronen) dotiert. Unter den 171 Preisträgern gibt es 167 Männer und vier Frauen.
Weisung von 1901 - Alfred Nobel verfügte in seinem Testament, der Nobelpreis für Chemie solle demjenigen zuerkannt werden, der die wichtigste chemische Entdeckung oder Verbesserung gemacht hat.
Der Brite Frederick Sanger erhielt den Preis als Einziger zwei Mal: 1958 für die Aufklärung der Insulinstruktur und 1980 gemeinsam mit Paul Berg und Walter Gilbert für Arbeiten zur Bestimmung der Basenabfolge im Erbgut.
Die seit 1901 verliehenen Chemie-Nobelpreise gingen vor allem an amerikanische Forscher. Die erste Auszeichnung erhielt der Niederländer Jacobus van't Hoff für die Entdeckung von Gesetzen der Osmose. Für die Entdeckung der DNA-Struktur hatten James Watson und Francis Crick im Jahr 1962 den Medizin-Nobelpreis erhalten.
2014 erhielten der deutsche Forscher Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner die Auszeichnung für die Erfindung superauflösender Mikroskope. Damit ist es möglich, in lebende Zellen zu blicken und Abläufe bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson beobachten.
Langes Warten - Auch 2007 war ein Deutscher erfolgreich: Gerhard Ertl vom Fritz-Haber-Institut in Berlin erhielt den Chemie-Nobelpreis für die exakte Untersuchung chemischer Reaktionen, wie sie etwa im Autokatalysator oder bei der Herstellung von Dünger ablaufen.
Wissenschaftler müssen meist sehr lange warten, bis ihre Entdeckung mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wird. Eine Studie der finnischen Aalto-Universität hatte ergeben, dass zwischen wissenschaftlichem Durchbruch und Preisverleihung immer mehr Jahre vergehen - in der Regel mehr als 20.
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Wartezeiten vom ersten Chemie-Nobelpreis bis zum Jahr 2014. Wenn Sie auf einen Punkt klicken, erfahren Sie mehr über den jeweiligen Preisträger und die ausgezeichneten Forschungsarbeiten.