GESELLSCHAFT
Rückgang des arktischen Meereises führt womöglich zu strengeren Wintern in Teilen Europas
Die arktische Eisschmelze hat in den vergangenen Jahrzehnten einer Studie zufolge regelmäßig zu besonders frostigen Wintern in den mittleren Breiten Europas und Asiens geführt. Das zumindest behaupten Forscher um Masato Mori von der japanischen Universität Tokio.
Die Wissenschaftler fanden demnach heraus, dass der Rückgang des Meereises in der arktischen Barents-Kara-See bestimmte atmosphärische Muster begünstigt. Diese atmosphärischen Muster, die von den Forschern „Blockierungssituationen“ genannt werden, würden dazu führen, dass besonders kalte Luft in Richtung Europa und Asien ströme und dort strenge Winter verursache.
In ihrer Untersuchung führten die Forscher insgesamt 200 leicht variierende Computersimulationen der weltweiten atmosphärischen Zirkulation durch. Das Klimamodel, das sie für diese Simulationen nutzten, stützte sich auf zwei unterschiedliche Situationen in der Arktis: entweder eine hohe oder eine niedrige Konzentration des Meereises. Die ins Modell eingespeisten Werte zur Eiskonzentration wiederum basierten auf Beobachtungsdaten.
Die japanischen Forscher gehen allerdings davon aus, dass es sich hierbei nur um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Analysen von Klimavorhersagen für das 21. Jahrhundert würden nahelegen, dass in Zukunft eher mit einer Abnahme der strengen Winter in Europa und Asien zu rechnen sei. Grund sei die allgemeine Erderwärmung.
Seit etwa drei Jahrzehnten stellen Forscher fest, dass die Eisfläche der Arktis tendenziell schrumpft. Mori und seinen Kollegen zufolge wurde jedoch in bisherigen Klimasimulationen keine stabile atmosphärische Antwort auf die arktische Eisschmelze gefunden.
Der mögliche Zusammenhang zwischen der arktischen Eisschmelze und kalten Wintern in den mittleren Breiten wurde in der Vergangenheit bereits von mehreren anderen Forschergruppen untersucht. Vladimir Petoukhov vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Vladimir Semenov vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel schrieben etwa in einer Studie von 2010: „Hier zeigen wir, dass der anormale Rückgang des winterlichen Meereises in der Barents-Kara-See extrem kalte Zeitenspannen bringen könnte, ähnlich wie die im Winter von 2005/2006.“
Forscher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven kamen wenig später zu ähnlichen Ergebnissen. „Die Wahrscheinlichkeit für kalte, schneereiche Winter in Mitteleuropa steigt, wenn die Arktis im Sommer von wenig Meereis bedeckt ist“, schrieb das AWI im Januar 2012. Die AWI-Forscher führten diesen Zusammenhang zum Teil auf Anomalien der Arktischen Oszillation zurück.
Die Arktische Oszillation ist eine Schwingung der Atmosphäre, die durch entgegengesetzte Luftdrücke in der Arktis und den mittleren Breiten charakterisiert ist. Sie kann zwei verschiedene Phasen einnehmen. In der positiven Phase treiben Westwinde im Winter warme Atlantikluft nach Nordeuropa und Sibirien. In der negativen Phase kann kalte Polarluft weiter in den Süden vordringen. Dadurch gibt es frostige Winter in Europa.
Mori und seine Kollegen unterstreichen hingegen, dass die atmosphärische Antwort auf den Rückgang des arktischen Eises ihren Simulationen zufolge wahrscheinlich von der sogenannten Arktischen Oszillation unabhängig ist.