GESELLSCHAFT
Sterben des Toten Meeres ist ein menschengemachtes Problem
Baku, 5. Dezember, AZERTAC
Die Ankündigung hat für Aufsehen gesorgt: Jordanien will einen gigantischen Kanal bauen, um Wasser vom Roten ins Tote Meer zu leiten. Wie genau kann das funktionieren und warum schlagen Umweltschützer Alarm? Der Überblick.
180 Kilometer lang sollen die Pipelines und Kanäle sein und bis zu 60 Meter breit. Hinzu kommen zwei Entsalzungsanlagen, ein Wasserkraftwerk und schließlich eine Verwirbelungsanlage, die die Wassermassen vermischt. Keine Frage: Das Projekt ist gigantisch.
Die jordanische Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, das Rote und das Tote Meer miteinander zu verbinden. Und trotz vieler offenen Fragen hat die Regierung in Amman vor wenigen Tagen den Startschuss für das umstrittene Vorhaben gegeben.
Bis Ende März können sich Unternehmen und Konsortien nun um Aufträge im Rahmen der ersten Bauphase bewerben. Nach dem Willen der jordanischen Regierung soll der Bau der ersten Entsalzungsanlage außerhalb der Küstenstadt Aqaba in eineinhalb Jahren starten. Mit der Verlegung der Pipeline, die ausschließlich über jordanisches Gebiet führen soll, soll in drei Jahren begonnen werden.
Nach insgesamt sieben Jahren Bauzeit - also etwa 2024 - sollen dem Roten Meer dann jährlich 300 Millionen Kubikmeter Wasser entzogen werden. Davon sollen 65 bis 85 Millionen Kubikmeter pro Jahr entsalzt werden. Die geplante Verwendung sieht so aus:
Das entsalzte Wasser soll Jordanien, Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde zum Herstellungspreis als Trinkwasser verkauft werden.
Die nach der Entsalzung übrig bleibende Sole und das restliche unbehandelte Meerwasser sollen durch gigantische Röhren dem ohnehin sehr salzreichen Toten Meer zugeführt werden.
Um den enormen Energiebedarf der nötigen Pumpstationen und der Entsalzungsanlage zumindest anteilig zu decken, soll das Wasser zunächst bei Aqaba auf über 300 Meter hinaufgepumpt werden. Die Meerwasserpipeline soll dann für den größten Teil der 180 Kilometer zum Toten Meer hoch oben am Hang verlaufen. Erst kurz vor dem Ende soll das Wasser dann in die Tiefe des 429 Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Sees stürzen - und dabei mittels eines Wasserkraftwerks Strom produzieren.
Vision aus dem 19. Jahrhundert - Das Projekt, das im Jargon von Wasserexperten gern mit "rot-tot" abgekürzt wird, hat eine lange Vorgeschichte. Schon im 19. Jahrhundert träumten Visionäre davon, das Tote Meer mit Wasser aus dem Golf von Aqaba aufzufüllen. Der israelisch-jordanische Friedensschluss brachte 1994 die Gelegenheit, aus dem Hirngespinst einen echten Plan zu machen.
Im Jahr 2012 gab die Weltbank dem Projekt ihren Segen, nachdem diverse Expertenteams zu dem Schluss gekommen waren, dass die Verbindung der beiden Gewässer tatsächlich machbar ist und sinnvoll sein könnte. Im Dezember 2013 einigten sich Jordanien, Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde dann auf ein Abkommen zur Rettung des Toten Meers und eine Verteilung des Wassers in der Region.
Vor allem Jordanien ist auf neue Trinkwasserquellen angewiesen: Das Wüstenland ist einer der Staaten mit der größten Wasserknappheit weltweit. Für die 6,5 Millionen Einwohner ist Trinkwasserrationierung Alltag. Seit Beginn des Syrienkriegs sind etwa 750.000 Syrer nach Jordanien geflüchtet, was die Wasserkrise noch verschärft. Für das Land käme die neue Wasserquelle also wie gerufen.
Doch das Projekt ist umstritten. Vor allem Umweltschützer haben eine ganze Reihe von Einwänden: Es ärgert sie, dass der Bau der Pipelines mit der angeblichen Rettung des Toten Meeres begründet wird. Tatsächlich gehe es nur darum, Trinkwasser und Strom zu generieren. Das Einleiten der Sole ins Tote Meer sei die Entsorgung eines giftigen Abfallprodukts, keine Hilfsmaßnahme für das bedrohte Gewässer, sagen Aktivisten wie Gidon Bromberg, Direktor der Organisation Friends of the Earth Middle East.
Tatächlich ist das Sterben des Toten Meeres ein menschengemachtes Problem. Israel, Jordanien und Syrien entnehmen dem Jordan unglaubliche 98 Prozent seines Wassers. Dort, wo früher ein munterer Fluss das Tote Meer speiste, kommt heute nur noch ein verdrecktes Rinnsal an. Der Pegel des äußerst mineralhaltigen Sees, in dem Schwimmer wie Korken auf dem Wasser treiben, sinkt jedes Jahr um einen Meter. Statt das Tote Meer künstlich aufzufüllen, müsse das Wasser des Jordans besser und sparsamer benutzt werden, fordern Umweltschützer.
Selbst hochrangige Vertreter der israelischen Wasserwirtschaft glauben offenbar nicht, dass das Tote Meer durch Auffüllen gerettet werden kann. Die Mengen, die nach Abschluss der ersten Phase eingeleitet würden, könnten den erwarteten Schwund von etwa 700 Millionen Kubikmetern jährlich nicht ausgleichen, berichtet ein Manager von Dead Sea Works, dem staatlichen israelischen Konzern, der aus dem Wasser des Toten Meeres Kaliumkarbonat und andere Substanzen gewinnt.
Sollten in einer späteren Phase wie angedacht sogar bis zu eine Milliarde Kubikmeter frisches Wasser in den See geleitet werden, könnte das wiederum unerwünschte Folgen haben, sagt der Ingenieur, der anonym bleiben möchte. Es sei denkbar, dass sich die beiden Wasserqualitäten nicht wie erhofft vermischten, sondern übereinander schichteten. Auch Algenwuchs und die Bildung einer Gipsschicht seien nicht auszuschließen.
Fraglich ist bis heute zudem, wer das "rot-tot"-Projekt eigentlich finanzieren soll. Die Regierung in Amman hält sich bedeckt und spricht davon, dass sie auf private Investoren setze, die an dem Kanal Geld verdienen wollen.
Auch über die anfallenden Kosten herrscht Unklarheit. Die erste Bauphase soll mit etwa 820 Millionen Euro zu Buche schlagen. Sollten alle angedachten Phasen des Mammutvorhabens tatsächlich gebaut werden, könnten es am Ende bis zu neun Milliarden Euro werden.