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Techniker lüften Geheimnis der tanzenden Statue
Baku, den 30. November (AZERTAG). Monatelang spukte es im britischen Manchester Museum: Die ägyptische Statue des Nebsenu drehte sich ohne menschliches Zutun in ihrer Glasvitrine um die eigene Achse. Nun ist das Geheimnis gelöst.
Zu Beginn diesen Jahres war Campbell Price aufgefallen, dass in seinem Museum etwas nicht mit rechten Dingen zuging. „Als ich zum ersten Mal bemerkte, dass eine unserer Statuetten um 180 Grad gedreht worden war und nun mit dem Rücken nach vorne stand, fragte ich mich noch, wer das getan haben könnte, ohne mir Bescheid zu sagen“, berichtet der Kurator. „Aber als ich das nächste Mal in die Vitrine schaute, war die Statue wieder in eine andere Richtung gedreht - und einen Tag später wieder in eine neue Richtung.“
Wollte jemand, dass die Inschrift auf der Rückseite der Statue lesbar wird? Dort steht ein Gebet - die Bitte um Brot, Ochsen und Geflügel für das Ka des Nebsenu. Ein Kollege vom Besucherservice mutmaßte, der alte Ägypter wolle, dass man die Zeilen für ihn spreche.
Magnetismus als unsichtbare Drehkraft? - Menschliche Hilfe benötigte Nebsenu jedenfalls nicht bei seinen Umdrehungen. Eine eigens installierte Videokamera belegte, dass die Statue sich ganz von allein drehte: gegen den Uhrzeigersinn und genau auf der Stelle. Allerdings bewegte Nebsenu sich nicht gleichmäßig. Tagsüber hatte er es offensichtlich eiliger als in der Nacht.
Gab es vielleicht unsichtbare Kräfte, die den Ägypter in Bewegung versetzten? Eine Möglichkeit wäre Magnetismus: Die Statuette ist aus Steatit - gebranntem Speckstein - gefertigt, der durchaus magnetische Eigenschaften haben kann. Doch warum hatten diese Nebsenu dann nicht auch in seiner alten Vitrine zum Thema „Ägyptische Jenseitsvorstellung“ herumgeschoben, sondern erst, als er in der neuen Vitrine „Alte Welten“ stand?
Price hatte noch eine andere Vermutung. Steatit ist ein sehr hartes Material, und in seiner neuen Vitrine steht Nebsenu auf Glas: Die Reibung zwischen diesen beiden Materialien ist nur äußerst gering. Das Museum kontaktierte schließlich 24 Acoustics Ltd., eine Firma, die auf die Messung von Vibrationen spezialisiert ist. „Wir führten die Messungen über Nacht durch und brachten dafür einen Beschleunigungssensor, ein sogenanntes Accelerometer, an dem Rahmen der Vitrine an“, erklärt Steve Gosling, Experte für Gebäudevibrationen.
Kaum wahrnehmbare Vibrationen - Mit Beschleunigungssensoren kann man feinste Erschütterungen der Erde messen - etwa in Seismografen zur Erdbebenwarnung. Aber auch Smartphones verwenden die Technik für ihre Sensorik. Von Feierabend bis zur Öffnung des Museums am nächsten Morgen lief das Accelerometer durch und zeichnete alles auf, was Nebsenu bewegte: Autos, die am Museum vorbeifuhren, Schritte von vorbeieilenden Fußgängern, alle leisen Erschütterungen der Manchester Nacht.
Die Aufzeichnungen zeigten, wie die Stadt des Nachts zur Ruhe kommt. Zwischen 23 und 1 Uhr nehmen die Vibrationen deutlich ab. Dann ist Ruhe bis etwa um 5 Uhr morgens, wenn wieder die ersten Wecker klingeln. Und genau diesem Schlafzyklus der Stadt folgt auch der Tanz des Nebsenu: „Der Vibrationslevel korreliert stark mit dem Drehschwung der Statue“, fand Gosling.
Der alte Ägypter war also tatsächlich sensibel für etwas, das wir Menschen nicht mehr wahrnehmen können. „Die untere Grenze der menschlichen Wahrnehmung liegt bei etwa 0,14 bis 0,30 Millimeter pro Sekunde“, erklärt Gosling. Doch selbst als die Stadt am lautesten toste, schlug die Nadel an der Vitrine nur knapp über 0,15 Millimeter pro Sekunde aus. „Selbst die stärksten Vibrationen waren also selbst für die sensibelsten menschlichen Sinne kaum wahrnehmbar.“
Dem Museum bescherte der Spuk jedenfalls glänzende Besucherzahlen. Massen strömten herbei, um den tanzenden Ägypter zu bestaunen. Nachdem jetzt aber feststeht, was ihn zu seinen Drehungen veranlasste, hat Campbell Price dem Spuk ein Ende gesetzt. Nebsenu steht jetzt auf kleinen Wachsplättchen - und tanzt nicht mehr.