GESELLSCHAFT
US-Forscher zweifeln am Nutzen des Body-Mass-Index
Baku, den 23. August (AZERTAG). Wer ausrechnen will, ob das eigene Körpergewicht im Idealbereich liegt, für den galt der Body-Mass-Index (BMI) lange Zeit als das Maß der Wahl. Die einfache Formel Kilogramm durch Körpergröße in Metern zum Quadrat soll offenbaren, ob das Gewicht normal ist.
Bestenfalls sollte das Ergebnis zwischen 20 und 25 liegen, denn in diesem Bereich liegt per Definition die gesunde Norm. Darüber beginnt das Übergewicht, ab einem BMI über 30 sprechen Mediziner von Adipositas, also Fettsucht.
Doch seit Jahren gibt es ernstzunehmende Kritik am BMI, wie Experten im Fachmagazin „Science“ nun bekräftigen. Zum einen vereinfache die Formel zu stark, berücksichtige zum Beispiel nicht, dass Fett am Bauch schädlicher sei als an den Oberschenkeln. Zum anderen sei fraglich, ob ein hoher BMI tatsächlich mit einer erhöhten Sterblichkeit einhergehe, schreiben die Mediziner Rexford Ahima und Mitchell Lazar. Sie fordern deshalb eine neue Norm für das Gewicht. Es müsse überdacht werden, wie beurteilt werden kann, ob der Stoffwechsel einer Person gesund ist oder nicht.
So steht zwar außer Frage, dass starkes Übergewicht das Risiko für metabolische Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs erhöht. Doch gleichzeitig schüren Studien immer wieder Zweifel daran, ob übergewichtige Menschen tatsächlich so gefährlich leben wie immer behauptet wird. Leben Dicke womöglich sogar gesünder und länger als Normalgewichtige? Das zumindest legen Ergebnisse von Übersichtsarbeiten nahe, nach denen Übergewicht, definiert nach dem BMI, unter bestimmten Umständen die Lebensdauer erhöht.
Jüngst hatte eine solche Meta-Analyse der US-Epidemiologin Katherine Flegal gezeigt, dass ein kleiner Rettungsring das Leben verlängert. Für ihre Studie hatte Flegal die Daten von knapp drei Millionen Menschen ausgewertet. Ihr Ergebnis: Menschen mit einem BMI zwischen 25 und 30 haben ein niedrigeres Risiko, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu sterben, als die sogenannten Normalgewichtigen. Erst ab einem BMI von über 30 steigt das Risiko an.
Die einfache Gleichung „Übergewicht ist gleich ungesund“ stimmt also nicht - zumindest wenn man als Maß den BMI anlegt. Ahima und Lazar zitieren Schätzungen, nach denen zehn Prozent der erwachsenen US-Amerikaner definitionsgemäß übergewichtig sind, aber einen gesunden Stoffwechsel haben, und acht Prozent trotz eines normalen BMI einen ungesunden Stoffwechsel aufweisen.
Die scheinbar widersprüchliche Beobachtung, dass Übergewicht das Überleben begünstigt, nennen Forscher das Adipositas-Paradoxon. 2012 wurde es sogar für Typ-2-Diabetiker nachgewiesen, denen besonders oft vorgeworfen wird, ihr vermeintlich selbstverschuldetes Übergewicht sei die eigentliche Ursache ihrer Erkrankung.
Tatsächlich gilt die viszerale Adipositas, bei der der Körper mehr Bauchfett lagert als biologisch sinnvoll ist, als ein wichtiger Risikofaktor für Typ-2-Diabetes. Doch der gleiche Faktor mildert offensichtlich die Folgen, wenn es zur Erkrankung gekommen ist: Diabetes-Patienten mit einem hohen BMI sterben seltener an den Folgen ihrer Erkrankung als Patienten mit normalem BMI. Das gilt auch dann noch, wenn Risikofaktoren wie Hüftumfang oder Rauchen berücksichtigt werden. Nicht für alle als übergewichtig eingestufte Patienten scheint Abnehmen also ratsam.