GESELLSCHAFT
Fortschreitende Erhitzung des Planeten kann nicht mehr auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden
Baku, 12, Dezember, AZERTAC
Bei weiter steigendem Treibhausgasausstoß könnten die Temperaturen in Europa bereits 2060 um mindestens drei Grad verglichen mit den vorindustriellen Werten gestiegen sein. Das schließt ein Forschungsteam zumindest aus einer KI-gestützten Analyse.
Europa erwärmt sich dabei schneller als der globale Durchschnitt: 2023 war es bereits 2,3 Grad wärmer – global waren es nach Daten des Klimadienstes Copernicus rund 1,48 Grad.
Auch in den meisten anderen Regionen der Erde wird die Erderwärmung der neuen Auswertung zufolge wahrscheinlich schneller voranschreiten als vielen bisherigen Simulationen zufolge. Die für die Analyse genutzte KI lernt anhand zehn globaler Klimamodelle, außerdem verfeinern Messdaten der vergangenen Jahre die Vorhersagen, wie das Team um Elizabeth Barnes von der Colorado State University in Fort Collins im Fachjournal „Environmental Research Letters“ berichtet. „KI entwickelt sich zu einem unglaublich leistungsfähigen Instrument zur Verringerung der Unsicherheit bei Zukunftsprognosen“, sagte Barnes.
Als Grundlage wurde der sozioökonomische Pfad SSP3-7.0 aus dem Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) genommen, wie AZERTAC unter Berufung auf Spiegel berichtete. Dieses Szenario geht davon aus, dass der Treibhausgasausstoß in einer von Konflikten und Nationalismus geprägten Welt weiter deutlich ansteigen wird. Zur Definition des aktuellen Klimazustands wurden die beobachteten Temperaturanomalien von 2023 herangezogen.
Demnach könnte die 1,5-Grad-Schwelle schon 2040 oder noch früher für alle berücksichtigten 34 Regionen erreicht sein, in 31 Regionen sogar die Zwei-Grad-Schwelle. Bei der Auswertung für das Erreichen von drei Grad über dem vorindustriellen Mittel überschritten 26 von 34 Regionen im Jahr 2060 die Grenze, darunter die vier Regionen in Europa. Bislang lagen Prognosen zu einer globalen Durchschnittstemperatur bei diesem Szenario und zu diesem Zeitpunkt unter drei Grad.
Auch eine zweite Studie unter KI-Einsatz hat ergeben, dass die Erderwärmung wahrscheinlich schneller voranschreiten wird als in vielen bisherigen Simulationen berechnet. Temperaturen von zwei oder drei Grad über dem Durchschnitt des Zeitraums 1850 bis 1899 werden wahrscheinlich deutlich früher erreicht, als verbreitet angenommen.
Begrenzung auf 1,5 Grad unerreichbar - Das globale Ziel, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist der Auswertung zufolge inzwischen praktisch unerreichbar. Zudem bestehe ein hohes Risiko, dass die globale Erwärmung die Zwei-Grad-Marke überschreitet, selbst wenn die Menschheit eine rasche Verringerung der Treibhausgasemissionen auf null bis zu den 2050er-Jahren erreicht – was das optimistischste Szenario darstellt, das in der Klimamodellierung weithin verwendet wird. Frühere Studien waren zu dem Schluss gekommen, dass die Erderwärmung in diesem Fall wahrscheinlich unter zwei Grad gehalten werden könnte.
Die Forscher betonen, dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten große Auswirkungen haben wird, selbst wenn alle Anstrengungen und Investitionen in eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen so erfolgreich wie nur möglich verlaufen. „Es besteht ein reales Risiko, dass Menschen und Ökosysteme ohne entsprechende Investitionen in die Anpassung Klimabedingungen ausgesetzt werden, die viel extremer sind als das, worauf sie derzeit vorbereitet sind“, sagte Noah Diffenbaugh von der Stanford University, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.
Experten sehen es als sicher an, dass dieses Jahr das Vergangene als das wärmste Jahr ablösen wird. Die globalen Durchschnittstemperaturen werden voraussichtlich um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen, also bevor die Menschen begannen, fossile Brennstoffe in großem Umfang zu verbrennen. Das Pariser 1,5-Grad-Ziel zur Eindämmung der Klimakrise gilt damit aber noch nicht als verfehlt, da dafür auf längerfristige Durchschnittswerte geschaut wird.