GESELLSCHAFT
Fast alle Staaten haben INDCs festgelegt
Baku, 3. Dezember, AZERTAC
Jahr für Jahr produziert die Menschheit mehr CO2. Doch in einem neuen Weltklimavertrag wird es wieder keine verbindlichen Emissionsziele geben. Experten hoffen nun ausgerechnet auf den Umweltsünder China.
Alle Jahre wieder trifft man sich - und es gibt Themen, die regelmäßig für Streit sorgen. So ist das bei Familientreffen - und auf Klimakonferenzen. Damit das Ganze nicht in einem Desaster endet, sollte man heikle Themen am besten meiden. Genau für diese Taktik haben sich auch die Klimadiplomaten vor dem Gipfel in Paris entschieden.
Statt ein weiteres Mal vergeblich über verbindliche CO2-Ziele zu verhandeln, haben sie das Thema Treibhausgasausstoß ausgeklammert. Jedes Land konnte vor dem Gipfel zwar eigene Emissionsziele für die Jahre 2020 bis 2030 festlegen, sie heißen INDCs, Intended Nationally Determined Contributions oder "beabsichtigte national festgelegte Beiträge".
Fast alle Staaten haben INDCs festgelegt. Verhandelt wurde über diese CO2-Ziele allerdings nicht. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen sollen dem in Paris abzuschließenden Klimavertrag als Anhang hinzugefügt werden. Sanktionsmechanismen bei Nichteinhaltung sind keine vorgesehen.
Wissenschaftler vom Australian-German Climate and Energy College haben aus den vorab eingereichten INDCs berechnet, wie sich der CO2-Ausstoß der Menschheit bis 2030 entwickelt, sofern er den Selbstverpflichtungen folgt. Eine Kalkulation mit diversen Unwägbarkeiten. Indien beispielsweise hat nur relative Angaben dazu gemacht, wie sich der Treibhausgasausstoß im Verhältnis zur industriellen Produktion ändert.
Das Ergebnis ist ernüchternd: Legt man die konservativen, also nicht ambitionierten CO2-Ziele der Länder zugrunde, werden die Emissionen weltweit weiter steigen.
Selbst die ambitionierteren Zielvorgaben der Staaten gehen mit einem weiteren Anstieg der CO2-Freisetzung bis 2030 einher. Knapp drei Grad Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts könnten die Folge sein. Den INDCs zufolge steigt der CO2-Ausstoß vieler Länder und Regionen in den kommenden 15 Jahren deutlich an - zu den wenigen Ausnahmen gehören die EU und die USA.
Auch wenn Treibhausgase als Hauptursache des Klimawandels gelten, drehen sich die Verhandlungen in Paris um ganz andere Themen: einen 100 Milliarden schweren Klimaschutzfonds, Entwicklungshilfe, Technologieaustausch und Ausgleichszahlungen. Das heikle Thema CO2 wird umschifft, so die gängige Erklärung, weil es einen einstimmig beschlossenen Vertrag wohl verhindern würde - so wie beim grandios gescheiterten Gipfel von Kopenhagen im Jahr 2009.
Die große Bedeutung Indiens hat auch mit seiner weiter wachsenden Einwohnerzahl zu tun. Es wird China schon bald als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen. Sollte jeder Einzelne von 1,5 Milliarden Indern binnen weniger Jahre seinen CO2-Ausstoß um eine Tonne erhöhen, können das die übrigen Länder der Welt kaum kompensieren.
Damit die Emissionskurve der Menschheit nicht weiter ungebremst steigt, schlagen die Forscher vom Mercator Research Institute Berlin die Einführung einer CO2-Steuer vor. „Man könnte mit einem niedrigen Preis anfangen und mit den Einnahmen daraus ließe sich in vielen Ländern der universelle Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäranlagen finanzieren, was vor allem den Armen zugutekommt", erklären Experten. Wichtig sei, dass CO2 einen Preis bekomme. Der Emissionshandel in Europa funktioniere nicht richtig, weshalb Kohle zu billig sei.
Doch auch um eine CO2-Steuer wird in Paris nur am Rande diskutiert. Global durchsetzbar erscheint sie ebenso wenig wie verbindliche CO2-Reduktionsziele.