GESELLSCHAFT
Himmel über Europa soll sauberer werden
Baku, den 16. Dezember (AZERTAG). Schadstoffe bringen Hunderttausende Menschen um, klagt die EU. Doch die Datenbasis ist dünn. Trotzdem will Brüssel die Grenzwerte weiter herabsetzen - obwohl schon die alten nicht beachtet werden.
Der Himmel über Europa soll sauberer werden. Die EU-Kommission plant strengere Grenzwerte für Luftqualität bis zum Jahr 2030. Am Mittwoch wird sie ein Gesetzgebungspaket vorstellen.
Das Ziel: Endlich „ein Niveau von Luftqualität zu erreichen, das keine Risiken für Gesundheit und Leben von Menschen darstellt“, wie es in dem Kommissionsvorschlag heißt. Konkret nähme sich die EU damit vor, die Zahl der Todesfälle durch Feinstaub und Ozonbelastung bis 2030 um 54 Prozent zu verringern.
Die Kommission sieht die Umwelt und das Leben ihrer Bürger in ernster Gefahr. Allein im Jahr 2010 seien 406.000 Menschen aufgrund von Schadstoffbelastung in der Luft gestorben, eine unerhörte Zahl. Dazu kämen „erhebliche Krankheiten und Beschwerden, von Asthma bis zu schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen“. Zum Vergleich: Verkehrsunfälle verursachten im selben Jahr in der EU den Tod von 35.000 Menschen.
Die Kosten dieser Einflüsse beziffert das Papier auf vage, aber so und so erhebliche „externe Kosten von 330 bis 940 Billionen Euro“.
Viel zu tun - Obwohl die Grenzwerte in der EU bereits zu den schärfsten weltweit gehören, will die Kommission sie weiter senken: „Um das Langfristziel zu erreichen, wird eine weitere Herabsetzung nötig sein“, heißt es in dem Papier. Erreicht werden soll dies über schärfere Grenzwerte für jedes Mitgliedsland, deren Luftverschmutzungswerte „erheblich reduziert werden müssen“.
Umgesetzt werden soll dies über EU-Regeln wie die Ökodesign-Richtlinie, die Energie und neuerdings auch andere Ressourcen wie Wasser verbrauchende Produkte reguliert. Das Glühbirnen-Verbot etwa erging auf dieser Grundlage, der Stromverbrauch von Staubsaugern ist derzeit dran.
Zudem sollen bislang ungenügend regulierte Luftverschmutzer neuen Regeln unterworfen werden. „Unvollendete Aufgaben zu Ende bringen“, nennt der Vorschlag das. Er sieht viel zu tun – und benennt ein Grundsatzproblem zwar, leitet daraus aber nichts ab außer einem Appell.
Gesetze werden nicht beachtet - Denn die Kommission beschreibt „eine fortwährende Nicht-Beachtung geltender Gesetzgebung“ in den EU-Mitgliedsstaaten und „dauernde erhebliche Verletzung von Standards zu Luftqualität“. Diese Probleme könnten „kurz- und mittelfristig mit einer effektiven Umsetzung existierender EU-Gesetze gelöst werden“.
Das aber bedeutet: Bevor die heutigen Regeln überall beachtet werden, reagiert die EU schon mit einer Verschärfung.
Das ruft Kritiker auf den Plan. „Eine Reduktion von Luftschadstoffen bleibt wichtig“, sagt Holger Krahmer, umweltpolitischer Sprecher der FDP im Europaparlament. „Jedoch sollten wir vor der Festsetzung von neuen Grenzwerten berücksichtigen, dass die bisher geltenden Regeln in allen EU-Ländern möglichst einheitlich umgesetzt werden. Davon kann bisher keine Rede sein.“
Von Methangas bis Feinstaub - Die Furcht der Deutschen und der Ordnungspolitiker ist die. Eine Verschärfung der Standards würde am Status Quo wenig ändern, nämlich dass in einigen EU-Ländern schon die gelten Grenzwerte entweder nicht in nationale Gesetzgebung umgesetzt sind oder einfach nicht eingehalten werden.
„Luftqualitätspolitik findet in Europa inzwischen auf allerhöchstem Niveau statt“, sagt Krahmer und fürchtet hohe Belastungen für die, die sich an die Regeln halten: „Minimalste Schadstoffminderungen dürfen nicht maximale Kosten für die Volkswirtschaft zur Folge haben.“
Der Kommissionsvorschlag wird viele Bereiche des Lebens und der Wirtschaft treffen. Von Dieselfahrzeugen und landwirtschaftlicher Düngepraxis über Ozeandampfer bis zu Industrieanlagen zählt die Kommission eine ganze Riege von regulierungsbedürftigen potenziellen Quellen der Luftverschmutzung auf.
Es geht um die Vermeidung und Verringerung von Stickstoffoxiden, um Ammoniak, um Methangas und um Feinstaub, längst als Plage der Großstadt ausgeflaggt.
Heizkraftwerke im Visier - Umweltkommissar Janez Potocnik nimmt im Einzelnen etwa Heizkraftwerke ins Visier. Eine eigene Richtlinie, die im Rahmen des Pakets ebenfalls am Mittwoch im Kommissarskollegium verabschiedet und dann vorgestellt werden soll, weitet die Emissionsgrenzwerte auf kleine und mittelgroße Anlagen von bis zu 50 Megawatt aus.