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Uno-Bericht schlägt vorübergehendes Grundeinkommen für 2,7 Milliarden ärmsten Menschen weltweit vor

Baku, 26. Juli, AZERTAC
Die sofortige Einführung eines vorübergehenden Grundeinkommens für die ärmsten Menschen der Welt könnte laut einer neuen Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) den globalen Anstieg von Corona-Infektionen verlangsamen. Dazu wurden unter anderem sozioökonomische Auswirkungen der Pandemie in mehr als 60 Ländern untersucht.
Der Bericht "Temporäres Grundeinkommen: Schutz armer und schutzbedürftiger Menschen in Entwicklungsländern" geht davon aus, dass die Bereitstellung eines zeitgebundenen, garantierten Grundeinkommens für die schätzungsweise 2,7 Milliarden Menschen, die in 132 Entwicklungsländern unter oder knapp über der Armutsgrenze leben, pro Monat gut 199 Milliarden US-Dollar kosten würde.
"Beispiellose Zeiten erfordern beispiellose soziale und wirtschaftliche Maßnahmen", sagt Achim Steiner, Chef des Uno-Entwicklungsprogramms und Autor der Studie. Ein Grundeinkommen von beispielsweise sechs Monaten würde nur zwölf Prozent der gesamten Ausgaben für den Kampf gegen die Auswirkungen der Pandemie ausmachen, die ohnehin für 2020 zu erwarten seien. Eine Möglichkeit für Länder, ein vorübergehendes Grundeinkommen zu finanzieren, wäre die Umnutzung der Mittel, die sie ansonsten in diesem Jahr zur Tilgung ihrer Schulden verwenden würden.
"Entwicklungs- und Schwellenländer werden nach offiziellen Angaben in diesem Jahr 3,1 Billionen Dollar für die Rückzahlung von Schulden ausgeben", so UNDP. Der von Uno-Generalsekretär António Guterres geforderte umfassende Schuldenstillstand für alle Entwicklungsländer würde es den Ländern somit ermöglichen, diese Mittel vorübergehend in Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der Auswirkungen der Coronakrise umzuwandeln.
Weltweit sind am 22. Juli laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 14,5 Millionen Menschen mit Covid-19 infiziert. Die Pandemie breitet sich rasant aus, insbesondere auch in Entwicklungsländern. Das ist unter anderem deshalb problematisch, da dort gut neun von zehn Arbeitnehmern kein Geld verdienen können, wenn sie zu Hause bleiben müssen. In vielen Ländern gibt es zudem keine staatliche Unterstützung oder Sozialversicherungsprogramme für diejenigen, die nun von einem kompletten Einkommensstopp betroffen sind.
"Informelle Arbeitnehmer, Niedriglohnempfänger, Frauen und Jugendliche, Flüchtlinge und Migranten sowie Menschen mit Behinderungen sind am stärksten von dieser Krise betroffen", heißt es in der Studie.
Ein vorübergehendes Grundeinkommen würde diesen Menschen die Möglichkeit geben, Lebensmittel und Medikamente zu kaufen sowie eventuelle Arzt- und Bildungskosten zu bezahlen. "Durch die finanzielle Rettungsleine könnten auch kleine Unternehmen am Leben erhalten und die verheerende Verbreitung von Covid-19 verlangsamt werden", sagt Achim Steiner.
Die Annahme, dass ein zeitlich begrenztes Grundeinkommen die Infektionsfälle verlangsamt, erklärt George Gray Molina, Co-Autor der UNDP-Studie, hauptsächlich damit, dass Menschen mit finanzieller Sicherheit nicht mehr gezwungen sein würden, ihre Wohnungen zu verlassen und die eigentlich notwendigen Abstandsregeln außer Acht zu lassen. "Die Menschen sind tatsächlich unter Druck, morgens auf die Märkte zu gehen, um Geld zu verdienen", sagt Molina. "Und so sehen wir diese massive Verbreitung des Virus, die in den vergangenen Wochen dokumentiert wurde."
Natürlich müssen viele Menschen trotzdem ihr Zuhause verlassen - und sei es auch nur, um einkaufen zu gehen oder Sanitäranlagen in ihrem Wohnviertel aufzusuchen. Dies sei aber nicht vergleichbar mit dem täglichen Kampf um ein Einkommen - und den damit verbundenen Risiken.
Die Studie weist außerdem auf gesundheitliche Risikofaktoren hin, wie Bluthochdruck, Diabetes oder Fettleibigkeit, "von denen einige bei Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung häufiger auftreten". Außerdem werden unter anderem Unterernährung und Mangel an sauberem Wasser sowie medizinischer Versorgung genannt, was insbesondere Menschen in Entwicklungsländern schwächen und besonders anfällig für eine Corona-Erkrankung machen könnte.
Für Millionen von Menschen weltweit dürfte ein Grundeinkommen jedoch auch ohne die Verringerung von Infektionszahlen eine enorme Verbesserung bedeuten.
Wurde das Coronavirus anfangs noch als großer Gleichmacher beschrieben, zeigt sich immer deutlicher das Gegenteil: Die Pandemie verschärft bestehende globale und nationale Ungleichheiten, die oft die am stärksten gefährdeten Menschen am härtesten treffen. Die Uno geht allein von bis zu 100 Millionen Menschen aus, die im Jahr 2020 in extreme Armut gedrängt werden.