GESELLSCHAFT
Geheimsache Brustkrebs
Baku, den 6. Dezember (AZERTAG). Lange hat die französische Ministerin Dominique Bertinotti ihre Brustkrebserkrankung verschwiegen. Sie ging weiter arbeiten und will nun Vorbild sein. Dafür aber wird sie kritisiert. Sie hat sich eine Perücke aufgesetzt und geschwiegen. Frankreichs Familienministerin Dominique Bertinotti ist eine Kämpfernatur. Das haben die Franzosen unter anderem erlebt, als die Sozialistin in der Nationalversammlung das umstrittene Gesetz über die Homo-Ehe verteidigte. Was sie dabei nicht ahnten: Dominique Bertinotti kämpfte bei den bis tief in die Nacht geführten langen parlamentarischen Debatten über die „Ehe für alle“ auch gegen eine Krebserkrankung.
Erst jetzt, nach dem Ende ihrer acht Monate währenden Chemotherapie, hat die Familienministerin, die im Januar 60 Jahre alt wird, ihre Brustkrebserkrankung öffentlich gemacht. Premierminister Jean-Marc Ayrault fiel aus allen Wolken, als er davon erfuhr. Sozial- und Gesundheitsministerin Marisol Touraine beeilte sich, „die Tapferkeit“ der Parteifreundin zu loben: „Dominique hat uns alle verblüfft. Eine der großen Zukunftsdebatten muss es sein, wie man mit einer Krebserkrankung weiter am Arbeitsplatz bleiben kann.“
Jedes Jahr erkranken in Deutschland 57.000 Frauen an Brustkrebs, in Frankreich sind es etwa 53.000. Jede zehnte Frau wird im Laufe ihres Lebens mit dieser Diagnose konfrontiert. Vielen geht es so wie Dominique Bertinotti, die sich unbesorgt einer Routineuntersuchung unterzog. Das Ergebnis der Mammographie war „ein Schock“, erinnerte sich die Ministerin. Eine Woche danach begann sie mit der Chemotherapie.
Es war ihr Geheimnis. „Ich wollte nicht zum Objekt des allgemeinen Mitleids werden“, sagte sie. „Ich wollte nicht, dass meine Krebserkrankung ins Zentrum meiner Ministertätigkeit rückt.“ Jetzt aber will sie eine Debatte anzetteln über den Umgang mit der Krankheit. Brustkrebs sei für viele Frauen eine angstbesessene Diagnose. „Ich wollte zeigen, dass man Krebs haben und weiterarbeiten kann. Die Arbeitgeber müssen verstehen, dass ein langer Krankenstand nicht unbedingt die beste Lösung ist“, sagte die Familienministerin. Sie glaubt, dass „mehr Verständnis am Arbeitsplatz“, aber auch Hilfen wie Spezialnagellack oder Perücken auf Krankenkassenkosten den Betroffenen mehr dienen.
Aber kann eine Ministerin ihr persönliches Krebs-Schicksal zum Maßstab für alle Französinnen erheben? Darüber wird zur Zeit heftig debattiert. Brustkrebskranke Frauen argumentieren im Internet darüber, ob es wirklich wünschenswert ist, während der Behandlung zu arbeiten. „Ich fühle mich von der Ministerin wie geohrfeigt“, schrieb die Lehrerin Hélène Bénardeau, die seit zwölf Jahren gegen Brustkrebs kämpft und einen Internet-Blog zu dem Thema schreibt. „Viele Betroffene verlieren ihren Job aufgrund ihrer Erkrankung. Und die Ministerin plädiert dafür, dass alle weiterarbeiten sollen“, empört sie sich.
Alle an Krebs erkrankten Französinnen hätten aber auch nicht die Kraft und die materiellen Annehmlichkeiten, über die Dominique Bertinotti während ihrer Chemotherapie verfügte. Die Ministerin erwecke den Eindruck, dass die meisten brustkrebserkrankten Französinnen zimperlich seien und sich nicht am Arbeitsplatz behaupteten. „Warum soll man die Behandlungsphase verheimlichen?“, fragte Hélène Bénardeau. Die MinisterinnenInitiative bedeute einen Rückschritt für einen transparenten Umgang mit dem Brustkrebs.