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Indien: Ein schwerer Fall von Kindesmissbrauch erregt großes Aufsehen
Baku, 7. August, AZERTAC
Ein schwerer Fall von Kindesmissbrauch erregt großes Aufsehen in Indien. Ein zehnjähriges Mädchen, das nach einer Vergewaltigung schwanger geworden ist, muss das Baby zur Welt bringen. Das hat der Oberste Gerichtshof entschieden und damit einen Antrag der Familie abgelehnt, die eine Erlaubnis zu einer späten Abtreibung erwirken wollte. Eine Reporterin der "BBC" hat die Familie nun besucht und dabei erfahren, dass noch niemand die werdende Mutter aufgeklärt hat.
Dem Mädchen sei erzählt worden, dass sie einen großen Stein im Bauch trage, berichtet "BBC"-Reporterin Geeta Pandey. Mitte September soll das Baby zur Welt kommen und nach der Geburt zur Adoption freigegeben werden.
Die Schwangerschaft der Zehnjährigen wurde demnach erst spät bemerkt. Das Mädchen war bereits in der 30. Woche, als es über Bauchschmerzen klagte und von seiner Mutter in ein Krankenhaus gebracht wurde. Während der Untersuchung fanden die Ärzte auch heraus, dass das Kind in einem Zeitraum von mehr als sieben Monaten wiederholt von seinem Onkel vergewaltigt worden war.
In Indien sind Abtreibungen bis zur 20. Schwangerschaftswoche legal. In Ausnahmefällen können sie jedoch auch später stattfinden. Dafür muss nachgewiesen werden, dass Schwangerschaft oder Geburt ein medizinisches Risiko darstellen. Kurz nach Bekanntwerden der Schwangerschaft versuchte die aus der nordindischen Stadt Chandigarh stammende Familie vor einem Bezirksgericht eine Sondergenehmigung für den Eingriff zu erwirken - vergeblich.
Eine Abtreibung ist "nicht gut für das Mädchen" - Vor einer Woche ist die Familie dann auch vor Indiens Oberstem Gericht gescheitert, obwohl der Anwalt Alakh Alok Srivastava einen medizinischen Nachweis zur Notwendigkeit der Abtreibung vorgelegt hatte. Demnach sei es sehr wahrscheinlich, dass die Zehnjährige bei der Geburt sterben könne. Ihr kindlicher Körper sei nicht weit genug entwickelt, um ein Baby auf die Welt zu bringen.
Die medizinischen Experten des Obersten Gerichtshofs sehen das jedoch anders. Laut "BBC" zeigten sie sich zufrieden mit dem gesundheitlichen Zustand der Zehnjährigen und des ungeborenen Kindes. Auf diese Einschätzung stützten sich auch die Richter in ihrer Urteilsbegründung, weitere medizinische Details nannten sie nicht. Der Schwangerschaftsabbruch sei ihnen zufolge "nicht gut für das Mädchen". Das Oberste Gericht ordnete zudem an, dass die notwendige medizinische Versorgung künftig gewährleistet sein müsse.
Vorwürfe gegen die Eltern - Indische Medien stellten auch die Frage, wie die Mutter die Schwangerschaft ihrer Tochter erst im siebten Monat hatte bemerken können. Auch wurde öffentlich darüber spekuliert, ob die Frau von dem Kindesmissbrauch gewusst haben könnte. Dem "BBC"-Bericht zufolge geben die Eltern an, die Symptome übersehen zu haben, vielleicht weil das Mädchen "ein gesundes und molliges Kind" ist und weil sie sich nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen hätten vorstellen können, dass die Zehnjährige schwanger sei.
Mittlerweile geben sich Ärzte, Polizei und Sozialarbeiter im Haus der Eltern die Klinke in die Hand. Indische Medien wie die "Hindustan Times" und "India Today" haben ausführlich über den Fall berichtet und damit eine neue Debatte in dem Land angestoßen. Öffentlich diskutiert wird nicht nur über den Richterentscheid, sondern auch über die Frage, warum ausgerechnet dieser Fall die indische Gesellschaft so bewegt.
Einer Studie von Unicef zufolge wurden allein 2015 in Indien mehr als 10.000 Kinder vergewaltigt. Werden die Kinder dann schwanger, wird das oft erst spät entdeckt, da sich junge Minderjährige ihrer Situation nicht bewusst sind und die Symptome nicht erkennen.
Immer wieder werden deshalb vor Gericht auch Sondergenehmigungen für späte Schwangerschaftsabbrüche erteilt. Laut "Hindustan Times" verhandelte im Mai ein Gericht in der nordindischen Stadt Haryana über einen ähnlichen Fall. Damals entschieden die Richter, dass eine Zehnjährige, die von ihrem Stiefvater vergewaltigt worden war, ihr Kind abtreiben dürfe. Im Fall der Zehnjährigen aus Chandigarh muss die Familie nun auf die Entbindung warten und hoffen, dass ihr Kind überlebt.