WELT
Kojoten erobern New York City
Baku, 31. März, AZERTAC
Durch die Stadtparks von New York streunen Kojoten. Die Raubtiere sind scheu und bislang unauffällig geblieben - doch unter Anwohnern geht die Angst um.
Auf die Sirenen der New Yorker Feuerwehr antworten die Kojoten mit Geheul. „Es klingt, als wäre man von einem Dutzend Kojoten umringt“, sagt Stadtpark-Aufseherin Adeleida Duran. Wahrscheinlich seien es aber doch nur drei. Kojoten können in verschiedenen Tonlagen heulen, erklärt sie.
„Ranger Deli“, wie Duran von ihren Kollegen genannt wird, redet in einem Workshop mit Anwohnern des Van Cortlandt Parks im New Yorker Stadtteil Bronx. Sie versucht, zu beruhigen und Bedenken zu zerstreuen. Seit vor rund einem Monat im Central Park in Manhattan wieder mal ein Kojote gesichtet wurde, sind bei den Park-Aufsehern viele besorgte Anrufe eingegangen. Einige Anrufer berichten von Spuren, andere sorgen sich um die Sicherheit ihrer Haustiere.
Die ersten Berichte über Kojoten in New York City stammen bereits aus den Siebzigerjahren. Neu ist, dass sich die Präriewölfe dauerhaft in drei Parks im Norden der Stadt niedergelassen haben. Die Parkverwaltung schätzt, dass dort jeweils eine Familie mit bis zu sechs Tieren lebt. Kojoten ähneln Wölfen, werden aber nicht ganz so groß.
„Wir leben schon lange mit wilden Tieren in New York“, sagt Colin Jerolmack, Soziologe und Umweltforscher von der New York University. Dazu gehören Eichhörnchen, Adler und Rehe. „Aber erst wenn ein Kojote im Central Park herumläuft, werden wir uns dessen bewusst.“ In diesem Jahr fing die Polizei bereits zwei Kojoten in Manhattan ein und brachte sie zurück in die Bronx.
Spurensuche im Schnee - Mackenzie Younger, einer der rund 40 Besucher des Workshops im Van Cortlandt Park in der Bronx, führt die Gruppe zu einem Zaun. Dort hat er im tauenden Schnee Spuren entdeckt, die von einem Kojoten stammen könnten. Ranger Deli - in grüner Uniform mit silberglänzendem Abzeichen auf der Brust und einem weißen Plastiküberzug über dem Hut - kniet sich nieder und betrachtet die Abdrücke. „Die Größe stimmt“, sagt sie. Aber der seitliche Abstand zwischen den Pfoten lasse wohl eher auf eine Katze schließen. Kojoten setzen die Pfoten in einer Linie voreinander.
Ihr selbst ist in mehr als 26 Jahren Dienstzeit erst ein einziger Kojote in New York City über den Weg gelaufen. „Man muss schon Glück haben, um einen Kojoten zu sehen“, sagt Ranger Deli. Die Tiere trauen sich nur früh morgens oder abends aus der Deckung der Büsche und wechseln häufig ihre Höhle. Wie viele Kojoten in New York leben, weiß deshalb niemand so genau.
Mark Weckel vom American Natural History Museum versucht, die Tiere zu zählen. Der Leiter des Gotham Coyote Projects hat mit seinen Kollegen seit 2010 in allen Stadtteilen New Yorks Kameras angebracht. Bewegt sich etwas davor, startet die Aufnahme. Um die Zahl der Kojoten zu bestimmen, wollen sie in Zukunft anhand des Kotes auch die DNA der Tiere analysieren.
Die einzigen Feinde heißen Lincoln und Chevy - Laut einer Studie der Ohio State University aus dem Jahr 2006 sind die Überlebenschancen für Kojoten in Großstädten wesentlich höher als auf dem Land. Die Forscher statteten 175 Tiere im Großraum Chicago mit Funksendern aus und orteten sie regelmäßig. Das Ergebnis: Während in ländlichen Gebieten nur jeder fünfte Kojote ein Jahr alt wurde, war die Quote in Chicago doppelt so groß. Der Grund: Auf dem Land werden Kojoten häufig gejagt.
Die New Yorker Kojoten kommen aus dem ländlicheren Westchester County, das im Norden an zwei der Parks angrenzt. Die Tiere werden von dem reichen Nahrungsangebot in der Stadt angezogen. Laut der Ohio State University ernähren sich Kojoten in Städten zu mehr als 40 Prozent von kleinen Nagern. Aber auch Hasen, Früchte, überfahrenes Wild und Haustiere stehen auf dem Speiseplan. „Die Kojoten sind für die Stadt geeignet, weil sie alles fressen, was sie kriegen können“, sagt Colin Jerolmack von der New York University.
Die meisten jungen Stadtkojoten sterben auf der Straße. „Die einzigen Feinde, die sie in New York haben, heißen Lincoln und Chevy“, sagt Park-Aufseherin Jessica Carrero mit Bezug auf die amerikanischen Autoklassiker. Für eines der Unfallopfer, den Kojoten „Major“, hat die Stadt schon 1995 ein Denkmal im Van Cortlandt-Park errichten lassen.
Die Kojoten haben sich an das Stadtleben gewöhnt. Doch manche New Yorker müssen das Zusammenleben mit den Tieren noch erlernen. Die Tiere müssen so wild bleiben wie möglich, erklärt Colin Jerolmack. Wenn Kojoten Menschen mit Nahrung assoziierten, verlören sie ihre natürliche Scheu - und das mache sie potenziell gefährlich.
Die Park Ranger empfehlen, die eigenen Mülltonnen fest zu verschließen, Haustiere nachts nicht draußen zu lassen und auf keinen Fall Kojoten zu füttern. Jerolmack hat wenig Hoffnung, dass die New Yorker sich an die Tipps halten. „Die Leute sind begeistert von den Tieren und wollen mehr von ihnen sehen. Also streuen sie Essen“, erklärt Jerolmack. „Wir werden in Zukunft mehr Kojoten im Central Park sehen.“