WELT
Ebola stellt eine Gefahr für die ganze Menschheit dar
Längst ist absehbar, dass die Folgen der Ebola-Epidemie weit über das Leid der unmittelbar betroffenen Familien hinausgehen. Der Preis für Cassava, eine der wichtigsten Früchte in Westafrika, ist seit Anfang August um 150 Prozent gestiegen und auch die meisten anderen Lebensmittel sind teurer geworden. Die Menschen in Guinea, Sierra Leone und Liberia decken sich durch Panikkäufe ein, weil sie fürchten, dass die Transporteinschränkungen wegen der Epidemie die Nahrung knapp werden lassen könnten.
Schon vor der Krise gab ein durchschnittlicher Haushalt in ärmeren Gegenden dieser Länder bis zu 80 Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus. Die jüngste Entwicklung macht viele Grundnahrungsmittel endgültig unerschwinglich. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) warnte, die Ernte sei infolge von Ebola „erheblichem Risiko“ ausgesetzt. Das gelte besonders für Liberia, Sierra Leone und Guinea, die drei am stärksten betroffenen Länder.
Seit Monaten haben Quarantänezonen und Transporteinschränkungen einen erheblichen Einfluss auf die Produktion und den Vertrieb von Nahrungsmitteln. Die Nachbarländer haben die Grenzen geschlossen und wichtige Flugrouten sind gestrichen worden. Auch die Häfen haben an Umsatz eingebüßt, was die Nahrungsimporte erschwert - und davon hängt die Nahrungssicherheit in Westafrika ab.
Die Vereinten Nationen haben inzwischen ein Notfallprogramm beschlossen. 65.000 Tonnen Lebensmittel sollen an die rund 1,3 Millionen Menschen geliefert werden, die am meisten von den Folgen der Krise betroffen sind.
Für viele kommt jede Hilfe zu spät. Bislang sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 3500 Menschen an der gefährlichen Seuche erkrankt und mehr als 1900 gestorben. Die Geschwindigkeit der Ausbreitung erhöht sich. Doch die eigentliche Zahl dürfte weit höher liegen. Die WHO schätzt, dass sich allein in den vergangenen drei Monaten 20.000 Menschen angesteckt haben. Und die Tendenz ist weiter steigend. Die Kosten für die Umsetzung eines adäquaten Plans zur Bekämpfung von Ebola beziffert die Organisation seit Mittwoch auf 600 Millionen Dollar (457 Millionen Euro).
Die Liste der Akteure, die alarmierende Stellungnahmen verbreiten, ist lang. Anfang der Woche kritisierte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) die „weltweite Untätigkeit“ und forderte einen „internationalen Bio-Katastrophen-Einsatz“. Regierungen weltweit müssten umgehend Zivilschutz und militärisch-medizinische Einheiten in die Region entsenden, statt wie bisher überwiegend auf den Schutz des eigenen Staatsgebiets bedacht zu sein. Die Militärkontingente sollten jedoch nicht zur Kontrolle von Quarantänemaßnahmen oder gegen Demonstranten eingesetzt werden - Gewalt habe bislang lediglich Angst und Unruhen hervorgerufen, statt das Virus einzugrenzen.
Die weitere Ausbreitung könne nur mit umfangreichen Lieferungen von medizinischen Hilfsgütern aufgehalten werden, teilte MSF mit. Hilfsorganisationen könnten den von der WHO erarbeiteten Notfallplan nicht im Alleingang umsetzen. Ärzte ohne Grenzen habe in Liberias Hauptstadt eine Isolationsstation mit 160 Betten aufgebaut, sei aber „überfordert“ angesichts des Bedarfs - 800 weitere Betten seien allein hier notwendig. Zudem mangele es an mobilen Krankenhäusern mit Isolationsstationen, Lufttransportmöglichkeiten und ausgebildeten Pflegern. Die Organisation hat seit März über 1000 Ebola-Patienten behandelt.
„Sechs Monate nach dem Ausbruch der schlimmsten Ebola-Epidemie der Geschichte verliert die Welt den Kampf, sie aufzuhalten“, konstatierte die internationale Präsidentin von MSF, Joanne Liu. Trotz wiederholter Warnungen habe sich eine „Koalition der Inaktivität“ gebildet. Länder mit den entsprechenden Ressourcen hätten die politische und humanitäre Verantwortung einzugreifen. In Sierra Leone würden infizierte Leichen auf den Straßen verwesen, in Liberia baue man ein Krematorium anstelle neuer Ebola-Behandlungszentren.
Auch der Präsident der Weltbank, Jim Yong Kim, sprach von einer „desaströs unangemessenen Reaktion“ der internationalen Gemeinschaft. Die Industrienationen müssten „für ernsthafte und koordinierte Maßnahmen“ einstehen, sagte Kim. Nach Einschätzung der WHO haben „alle Beteiligten“ das Ausmaß der Krise unterschätzt.
US-Präsident Barack Obama wandte sich am Dienstag in einer Videobotschaft direkt an die Westafrikaner und forderte sie auf, Handschuhe und Masken zu tragen, wenn sie sich Ebola-Patienten näherten. Zudem rief er sie zum Verzicht auf traditionelle Begräbnisrituale auf, bei denen der Körper des Verstorbenen berührt wird.
Anfang der Woche war bekannt geworden, dass sich ein weiterer amerikanischer Gesundheitsarbeiter infiziert hat, der allerdings nicht mit der Behandlung von Ebola-Patienten beauftragt gewesen ist. Der Grund seiner Ansteckung ist noch unklar. Bereits im August waren zwei US-Mediziner aus Liberia evakuiert worden. Sie überlebten, nachdem sie das noch nicht marktfähige Medikament ZMapp verabreicht bekommen hatten. Nach Angaben des Herstellers Mapp Biopharmaceutical Inc. sind die Vorräte erschöpft, es werde Monate dauern, bis Nachschub geliefert werden könne.
Das US-Gesundheitsministerium stellt der in Kalifornien ansässigen Firma während der kommenden eineinhalb Jahre umgerechnet 18,3 Millionen Euro zur Verfügung, um die Entwicklung und Produktion des Medikaments zu beschleunigen. Wie problematisch die Situation ist, illustriert ein Handyvideo, das vor einigen Tagen in Liberias Hauptstadt Monrovia aufgenommen worden ist.
Das Video, das vom englischen Fernsehsender Sky News verbreitet worden ist, zeigt die Flucht eines Mannes aus einem Ebola-Behandlungszentrum. Er wird von aufgebrachten und wütenden Passanten konfrontiert, bis ihn schließlich ein Einsatzteam in Schutzkleidung gewaltsam in einen Lastwagen trägt und zurück in die Klinik bringt. „Die Patienten sind hungrig“, schreit eine Frau in dem Video. „Keine Nahrung, kein Wasser.“
Der an Ebola-ähnlichen Symptomen leidende Mann habe die Orientierung verloren, während er auf einen Test gewartet habe, sagte dagegen Sophie-Jane Madden, eine Sprecherin von MSF. Nachdem er behandelt worden sei, habe man ihn schließlich entlassen - er war nicht infiziert.