WELT
Letzter Auftritt Obamas, als Präsident

Washington, 11. Januar, AZERTAC
Emotional verabschiedet sich Barack Obama als Präsident. 20.000 Menschen feiern ihn. Sein Auftritt zeigt aber, in welch kritischem Zustand er die USA sieht. Obama warnt seine Landsleute vor dem Ende der Demokratie - und macht ihnen dennoch Mut.
Ganz am Ende seiner letzten großen Rede als Präsident wird es emotional. Da steht Barack Obama am Pult in Chicago, beißt sich auf die Lippe und wischt sich eine Träne aus dem Auge. "Bei allem, was ich in meinem Leben gemacht habe, bin ich am stolzesten darauf, euer Vater zu sein", ruft Obama seinen Töchtern Malia und Sasha zu.
Egal, wo man in diesem Moment im McCormick-Convention-Center hinguckt, überall tupfen sich Menschen die Augen. Es liegt weniger an Obamas persönlichem Ton. Sondern vor allem daran, dass den meisten im Saal mit einem Mal klar zu werden scheint, dass in diesen Tagen die Präsidentschaft Obamas zu Ende geht.
Eine historische, aber auch eine komplizierte Präsidentschaft war das, man kann das nicht anders sagen. Der erste schwarze Präsident, viele politische Erfolge - das bleibt, keine Frage. Aber eben auch das. Unter ihm, der die Hoffnung so schön wecken konnte, wuchs der Hass im Land und die politische Feindschaft. Es passt zur Tragik seiner Präsidentschaft, dass nun nicht einmal sicher ist, was inhaltlich von seiner Amtszeit noch übrig bleibt. In wenigen Tagen sitzt an seinem Schreibtisch Donald Trump.
Obama zählt Erfolge auf - Einmal will Obama noch Abschied nehmen. In Chicago. Natürlich Chicago. Hier hat alles angefangen vor acht Jahren, hier soll es enden. "Es ist gut, wieder zu Hause zu sein", sagt er. Eine knappe Stunde spricht er und die Rede ist, natürlich, eine in Teilen sehr wohlwollende Betrachtung seiner eigenen Amtszeit. Es geht ihm darum zu zeigen, dass sein Versprechen des Wandels in seiner Präsidentschaft auch tatsächlich eingehalten wurde. Also zählt er sie auf, die Erfolge: Den Kampf gegen die Finanzkrise und den Aufschwung am Arbeitsmarkt die Gesundheitsreform und die Ausschaltung Osama Bin Ladens. "Hätte ich euch das damals gesagt, ihr hättet mir wahrscheinlich vorgehalten, meine Ziele ein bisschen hoch zu setzen", ruft er und es herrscht Stimmung wie auf einem Parteitag.
In weiten Passagen ist es aber auch eine sehr nachdenkliche und emotionale Rede, eine Reflektion darüber, was in den vergangenen Jahren in den USA und unter ihm als Präsidenten passiert ist. Er wolle, sagt Obama, zum Abschied gerne etwas zum Zustand der Demokratie sagen. Sie sei nämlich in Gefahr.
Die Ungleichheit wachse, die Chancengleichheit schrumpfe, die Polarisierung nehme zu, das Vertrauen in Institutionen nehme ab. "Zu viele Menschen fühlen sich abgehängt", ruft er. Den Sorgen der vielen Bürger, die mit den Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte ihre Welt verloren hätten, müsse sich das Land eigentlich wieder stärker widmen. Nur sei den Amerikanern etwas Wesentliches abhanden gekommen. Die Fähigkeit, sich in den jeweils anderen hineinversetzen zu können. "Wir fühlen uns immer sicherer in unseren Blasen, dass wir - egal ob sie richtig oder falsch sind - nur noch jene Informationen akzeptieren, die zu unseren Meinungen passen", kritisiert Obama.
"Four more years" - Geht wieder aufeinander zu, engagiert euch, öffnet euch - das ist die Botschaft des scheidenden Präsidenten. "Die Demokratie ist immer dann bedroht, wenn wir sie als selbstverständlich betrachten", ruft er. "Wenn ihr keine Lust mehr darauf habt, mit Fremden im Internet zu streiten - versucht mal, mit ihnen im richtigen Leben zu sprechen." Wenn einem Politiker nicht passten, solle man Unterschriften sammeln und selbst antrete. Das "Amt des Bürgers" sei das wichtigste Amt in der Gesellschaft. Ähnliche Sätze hat Obama im vergangenen Jahr in Havanna von sich gegeben, um die Kubaner von der Demokratie zu überzeugen. Jetzt spricht der scheidende Präsident seinen Landsleuten ins Gewissen, damit diese sich von der Demokratie nicht verabschieden. Welch ein Moment.
Natürlich sind diese Passagen eine indirekte Referenz auf Donald Trumps Weltsicht und eine Abgrenzung von dessen Plumpheit und Aggressivität. Der Wahlsieger ist nicht anwesend, aber in gewisser Weise ist er die ganze Zeit über mit im Saal. Als Obama von der "friedlichen Übergabe der Macht" spricht, pfeifen ein paar Zuschauer und schreien "Four more years!" - nochmal vier Jahre. Obama lächelt. "Ich darf das nicht", sagt er.
"Die Zukunft ist in guten Händen" - Namentlich erwähnt er seinen Nachfolger nur einmal kurz, ansonsten versucht Obama sich ihm politisch entgegenzustellen. Um die Demokratie zu retten, "müssen wir uns auch gegen die Schwächung unserer Werte stellen", ruft er. Freier Handel, Recht und Gesetz im Anti-Terror-Einsatz, Entschlossenheit im Kampf gegen den Klimawandel, Einsatz für Flüchtlinge. "Unsere Rivalen wie Russland und China reichen nicht an unseren Einfluss heran. Es sei denn, wir geben auf, wofür wir stehen und werden auch eines dieser großen Länder, die ihre kleinen Nachbarn schikanieren."
Es ist kurz vor zehn Uhr, Obama ist am Ende seiner Rede angelangt. Eins möchte er seinen Leuten noch mitgeben: Er kommt als Mann der Hoffnung, er will gehen als Mann der Hoffnung. "Lasst uns wachsam sein. Aber nicht ängstlich", ruft er. "Die Zukunft ist in guten Händen." Es ist ein Satz, der eigenartig wirkt in diesen Tagen. Nicht einmal bei den Republikanern würden ihn alle unterschreiben.
Aber in Chicago hören das am Dienstagabend die meisten Zuschauer gerne. Als Obama nach der Rede die Bühne verlässt, filmt ihn eine junge schwarze Amerikanerin aus der Entfernung mit ihrem iPhone. Sie schwenkt jeden Schritt mit, begleitet ihn mit ihrem Telefon in der Hand von der Bühne, aus dem Amt. Als wollte sie es nicht wahrhaben, schaut sie ihm hinterher. "Oh Mann, ich werde ihn vermissen", sagt sie zu ihrer Freundin neben sich, "er wird für immer mein Präsident sein."