WELT
Ai-Weiwei entzaubert sich mit seiner Kunst-Show
Baku, den 3. April (AZERTAG). Schlicht gedacht, viel gemacht: Der Chinese inszeniert sich in der großen Ausstellung im Berliner Gropius-Bau als Märtyrer. Der mediale Durchmarsch ist total, der künstlerische Gehalt eher bescheiden.
Die Zahlen sind eindrucksvoll: Fünfzehn Container mit Kunst wurden aus Peking nach Berlin verschifft. Vierzehn Medienpartner sind akquiriert, vom „Tagesspiegel“ bis zu „Radio Teddy“, dem Berliner Kindersender mit dem Motto: „Macht Spaß, macht schlau“. Alle drei deutschen Monatsmagazine für Kunst zeigen den Meister auf den Titelblättern ihrer aktuellen Ausgaben.
„Evidence“, die große Ai-Weiwei-Schau im Berliner Martin-Gropius-Bau, ist ein logistischer Erfolg, soviel steht bereits fest. Vor allem aber wird sie von einem medialen Durchmarsch begleitet, der den Direktor Gereon Sievernich noch am Tag vor der Eröffnung ungläubig den Kopf schütteln lässt.
Seit 1979 arbeitet er für die Berliner Festspiele, die Hausherren des Gropius-Baus – und doch kann er sich an keinen vergleichbaren PR-Erfolg erinnern. „Ein Phänomen“, sagt Sievernich zufrieden, nachdem er noch vor der offiziellen Presskonferenz die x-te Besuchergruppe durch die 16 Räume der Ausstellung geführt hat.
Ein medialer Durchmarsch wie noch nie - Man würde sich so gerne mit ihm freuen, einstimmen in den Chor der Weiweianer, die alles, was der Künstler sagt und schafft mit einer beispiellosen Dringlichkeit begrüßen. Allein: Es geht nicht.
„Evidence“ zeigt zu einem großen Teil neue Arbeiten, die in den letzten Jahren, vor allem in der Zeit nach seiner Inhaftierung, entstanden sind. Der Künstler mag Peking weiterhin nicht verlassen dürfen, seine Produktion läuft auf Hochtouren und genießt umfassende Reisefreiheit. Wie schon auf der Venedig-Biennale wird der Besucher in Berlin von einer Installation aus traditionellen chinesischen Holzhockern begrüßt. Türmten sich die Hocker im vergangenen Jahr noch Richtung Decke des deutschen Pavillons, füllen Sie hier im Gropius-Bau in Reih und Glied den Lichthof.
Das ist nett anzuschauen und gibt den Grundton für einen der zwei Hauptstränge der Ausstellung vor, Ais Auseinandersetzung mit den radikalen Umwälzungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft. Ob er, wie in „Monumental Junkyard“, traditionellen Holztüren, wie sie im Neubau-wütigen China gerade massenhaft auf Flohmärkten landen, marmorne Denkmäler setzt, oder, wie in „Han Dynasty Vases with Auto Paint“ fast 2000 Jahre alte Vasen mit Metallic-Lacken überzieht – Ai schafft visuelle One-Liner zur verschwindenden Tradition, zu Modernisierungs- und Konsumwahnsinn.
Ai schafft visuelle One-Liner - Hat man den einen verstanden – lange dauert es nie – steht man schon vor dem nächsten: Stühlen aus der Ming-Dynastie, denen Ais Assistenten die wertvolle Patina abgeschliffen haben, so dass sie nun wie neu aussehen. So schlicht gedacht sind diese Arbeiten, dass all die Lehrer, die sich für die kommenden Wochen bereits zu Workshops für ihre Schulklassen angemeldet haben, getrost auf museumspädagogische Schützenhilfe verzichten können.
Tatsächlich ist alles in „Evidence“ so evident, dass kein aufgeweckter 12-Jähriger Probleme haben sollte, anhand der Werke über den Epochenwechsel in China zu diskutieren.
Auch der Smog in chinesischen Großstädten kann von engagierten Politiklehrern vor einem marmornen Grabstein mit Gasmaske angesprochen werden („Maske“, 2013). Ebenso wie der Territorialstreit zwischen China und Japan um die Diaoyu-, bzw. Sekaku-Inseln. Ai hat die Inseln in verkleinertem Maßstab in Marmor fertigen und den Boden – Achtung: Meer! – blau streichen lassen.
„Diaoyu Islands“ ist ein Tiefpunkt - Das Ergebnis würde in der Kinderabteilung eines naturwissenschaftlichen Museums nicht weiter auffallen, auch wenn echtes Wasser und die Aufforderung, die raumgreifende Installation barfuß zu begehen, den Spaß- und Lernfaktor noch erhöht hätten. In einer Kunstausstellung hingegen, die allem Anschein nach zu den sehnlichst erwarteten des Jahres zählt, ist „Diaoyu Islands“ ein Tiefpunkt, wie man ihn sich nach einem Einführungsseminar „Politische Konzeptkunst“ nicht banaler hätte ausdenken können.
Auch der zweite Strang der Ausstellung, Ais Beschäftigung mit seiner Haft, mit Hausarrest und ständiger Überwachung, ist alles andere als ein künstlerischer Triumph. Man wünscht niemandem 81 Tage in einem chinesischen Geheimgefängnis mit anschließendem Hausarrest. Aber die geschäftige Musealisierung des eigenen Leids, an der Ai hier mit äußerster Konsequenz arbeitet, wirkt von Raum zu Raum, von Arbeit zu Arbeit, impertinenter.
Der Schutt seines 2010 abgerissenen Ateliers in Schanghai – er lässt ihn nach Berlin schaffen und zu einer mit edlem Holz gerahmten Minimal Sculpture auftürmen. Die Handschellen, mit denen er an einen Stuhl gefesselt war – Ai lässt sie in Jade nachbilden und präsentiert sie in einer Vitrine („Jade Handcuffs“, 2014). Die Kleiderbügel, auf denen er in seiner Haft jeden Abend seine Kleidung aufhängte – sie werden, in Kristall gearbeitet, eine Vitrine weiter gezeigt. Auch der Raum, in dem er 81 Tage gefangen gehalten wurde, ist maßstabsgetreu rekonstruiert – wahrscheinlich, weil die im kleineren Maßstab gefertigte Zelle, die Ai im vergangenen Sommer in Venedig zeigte, parallel zur Berliner Ausstellung in einer großen Ai-Schau in New York zu sehen ist.
Handschellen aus Jade, Bügel aus Kristall - Es ist weder poetisch noch subtil, wie sich der Künstler mit diesen Arbeiten als Märtyrer erfindet. Und es würde einen schon interessieren, welcher Sammler oder Museumsdirektor sich Ais Reliquien sichern darf, um beim nächsten Empfang in Zürich oder London seine aufgeklärt-kritische Haltung den chinesischen Machthabern gegenüber demonstrieren zu können.
Ai mag eine interessante Figur der Zeitgeschichte sein, er mag sich einen heroischen Kampf mit der Partei liefern, seinem westlichen Publikum genau geben, was es verlangt. Doch „Evidence“ liefert nicht nur den Beweis, dass China ein Unrechtsstaat ist. Die Ausstellung zeigt auch, dass Ai Weiwei ein Künstler mit überschaubaren Fähigkeiten ist.