WISSENSCHAFT UND BILDUNG
Ein Dutzend Opferstätten mit Kindermumien gefunden
Baku, 14. November, AZERTAC
Schönheit und Gesundheit wurden ihm zum Verhängnis. Vor etwa 500 Jahren opferten die Inka in den Anden einen siebenjährigen Jungen den Göttern. Eine Genanalyse zeigt nun, woher die Vorfahren des Kindes stammten.
Vor 500 Jahren fiel ein Inka-Junge einem Ritus für die Götter zum Opfer. Der Junge wurde bei einer religiösen Zeremonie getötet, für die besonders hübsche und gesunde Kinder ausgewählt wurden. 1985 entdeckten Bergsteiger die Mumie des Siebenjährigen auf knapp 5300 Metern Höhe am Aconcagua in Argentinien, dem mit 6961 Metern höchsten Berg Amerikas. Nun ergründen Genetiker die Abstammung des Kindes.
Forscher um Antonio Salas von der spanischen Universität Santiago de Compostela entzifferten Teile des Erbguts des Jungen und schlossen daraus auf seine Herkunft. Genau genommen untersuchten sie die Mitochondrien - die als Kraftwerke der Zelle bekannten Strukturen haben ihr eigenes, kleines Genom. "Es ist die erste genetische Studie einer Anden-Mumie", sagt Salas.
Das Kind stamme aus einer Bevölkerungsgruppe, die vor 14.300 Jahren in Peru aufgetaucht sei, berichten die Forscher im Fachmagazin "Scientific Reports". Mit Hilfe von Gendatenbanken fanden die Forscher heraus, dass Menschen mit verwandtem Erbgut heute noch in Bolivien und Peru leben.
Fortschritt für die Forensik - Die untersuchte Gewebeprobe wurde vor rund 20 Jahren der Mumie entnommen und zwischenzeitlich in einer Gefrierkammer erhalten. Die Kammer gehört zum Labor des Argentinischen Teams für Forensische Anthropologie (EAAF) im argentinischen Córdoba. Das EAAF ist die führende wissenschaftliche Forschergruppe bei der Identifizierung von vermissten Opfern der argentinischen Militärdiktatur (1976-1983).
EAAF-Forscher Carlos Vullo, der an der Erbgut-Analyse der Mumie beteiligt war, erwartet nun auch Fortschritte auf anderen Gebieten. "Dass wir aus einer so alten Gewebeprobe Ergebnisse gewonnen haben, die mit archäologischen Befunden übereinstimmen, erweitert die Perspektive der Beweisaufnahme von forensischen Untersuchungen stark degradierter Leichname", so Vullo.
Dutzend Opferstätten mit Kindermumien - Das vom heutigen Peru ausgehende Inka-Reich breitete sich um 1500 bis Westargentinien aus. Mit der Tötung des letzten Inka-Herrschers Atahualpa 1533 durch spanische Konquistadoren fand es sein Ende.
In den Anden wurden bislang über ein Dutzend Opferstätten mit Kindermumien gefunden. Die Opfer wurden mit Maiswein und Koka-Blättern eingeschläfert. Der Aconcagua-Mumie waren drei kleine Lama- und drei menschliche Figuren aus Gold und Silber ins Grab gelegt worden.
Heute ist die Mumie im Besitz der Universidad Nacional de Cuyo (UNC) im argentinischen Mendoza. "Die Aconcagua-Mumie befindet sich in einem Zustand, in dem sie nicht zur öffentlichen Ausstellung geeignet ist", sagt Roberto Bárcena, Leiter des Ethnologischen Instituts der UNC. Es gebe zudem eine internationale Debatte über ethische Vorbehalte gegen die Ausstellung von Mumien oder anderen menschlichen Überresten.
Einige der Bergsteiger, die die Mumie entdeckten, befürworteten dieses Jahr die Errichtung einer Erinnerungsstätte im Hochgebirge, in der der getötete Siebenjährige wieder bestattet werden könnte.