Erstmals haben Forscher die von Einstein hergeleiteten Gravitationswellen gemessen

Baku, 13. Februar, AZERTAC
Beginn einer neuen Ära in der Astrophysik. Erstmals haben Forscher die von Einstein hergeleiteten Gravitationswellen gemessen. Sie öffnen damit Fenster in Gegenden des Universums, die bislang verschlossen waren.
"Das ist der Beginn einer neuen Ära in der Astrophysik", schwärmt Alessandra Buonanno, Direktorin am Albert-Einstein-Institut in Potsdam-Golm und Hannover. Auf sechs parallel laufenden Pressekonferenzen weltweit haben Physiker eine Sensation verkündet. In Washington hat David Reitze vom California Institute of Technology (Caltech) die Ehre, die entscheidenden ersten Sätze zu sagen: "Wir haben Gravitationswellen gemessen. Wir haben es geschafft. Ich bin so glücklich, das sagen zu können."
Vor fast genau hundert Jahren hatte Einstein diese Vibrationen der Raumzeit vorhergesagt. Gravitationswellen entstehen, wenn Massen beschleunigt werden. Sie rasen wie elektromagnetische Wellen mit Lichtgeschwindigkeit durchs all - mehr über Gravitationswellen erfahren Sie hier.
Messbar wurden sie jedoch erst lange nach Einsteins Prophezeiung - mithilfe aufwendiger, hochsensibler Detektoren. Auch wenn Einstein, hätte es die notwendige Technik damals schon gegeben, die nun erfolgreichen Laser-Interferometer bestimmt selbst erfunden hätte, wie Rainer Weiss vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf der Pressekonferenz vermutet.
Die einleitenden Sätze von Reitze kommen nicht völlig überraschend. Gerüchte über die Entdeckung kursierten seit Wochen. Die entscheidenden Signale hatten die Detektoren bereits im September 2015 aufgezeichnet. Es folgten viele genaue Analysen, bevor die Physiker damit an die Öffentlichkeit gingen.
Wie man denn mit den Gerüchten umgegangen sei und dem Gefühl, solch ein Geheimnis noch wahren zu müssen, wurden die Forscher deshalb auch gefragt. Reitzes Gegenfrage: Wie geheim war es denn wirklich? Die Journalisten lachen.
Mehr als tausend Forscher sind in 16 Ländern am Großprojekt beteiligt. Dass da etwas nach außen gedrungen ist, war wohl nicht zu vermeiden. Unter anderem steht ein Laser-Interferometer auch in Deutschland (Geo600). Auf der Pressekonferenz wollte man sich davon die Stimmung nicht verderben lassen. "Die Fakten sind so schön, da müssen wir doch nicht über Gerüchte reden", sagt France Cordova von der US-amerikanischen National Science Foundation.
Das mit der Geheimhaltung mag nicht geklappt haben, die Entdeckung zeigt aber die Stärke der internationalen Zusammenarbeit: Alle Beteiligten betonen, wie wichtig der Beitrag jedes Forschers gewesen sei. "Es ist kein Wettkampf, wer zuerst das Ziel erreicht", sagt Gabriela González, die Sprecherin des aLigo-Verbundes, was für Advanced Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory steht.
Das aLigo hatte das Signal eines gigantischen kosmischen Zusammenstoßes auffangen können: Zwei mittelschwere Schwarze Löcher, eines mit 36 und eines mit 29 Sonnenmassen, sind 1,3 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt fusioniert. Die Gravitationswellen eilten anschließend mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum und ließen sich schließlich hier auf der Erde nachweisen.
Was folgt aus dieser Entdeckung? - Das Messen von Gravitationswellen, da sind sich alle einig, wird einen neuen Blick auf das Universum ermöglichen. "Die zwei Schwarzen Löcher, die verschmolzen sind, hätten wir auf anderem Weg nie sehen können", sagt Buonanno. Sie sendeten kein Licht aus, ihr Verschmelzen war nicht aufgrund elektromagnetischer Strahlung erkennbar, nicht durch Röntgen- oder UV-Strahlung. Nur durch die nun gemessenen Gravitationswellen. "Wir können nun Phänomene entdecken, die uns bislang völlig verschlossen waren." Reitze vergleicht das erste Messen von Gravitationswellen mit dem Moment, in dem Galileo durch ein Teleskop blickte. "Wir öffnen jetzt das Fenster zur Gravitationsastronomie."
Die Physiker erhoffen sich unter anderem Signale von weiteren Paaren Schwarzer Löcher sowie von Neutronensternen, jenen kuriosen Sternenleichen, in denen die Materie so extrem verdichtet ist, dass sich die Masse von anderthalb bis zwei Sonnen in einem Ball konzentriert, der nur rund 20 Kilometer Durchmesser hat. Auch Neutronenstern-Kollisionen könnten zu den nun folgenden Entdeckungen gehören, sagt Kip Thorne vom Caltech. Möglicherweise entdecken die Forscher auch Hinweise auf sogenannte kosmische Strings, die von der String-Theorie vorhergesagt werden.
Welche Erkenntnisse daraus gewonnen werden? "Neue Beobachtungsmethoden haben immer Überraschungen geliefert", sagt Thorne. "Optische Strahlung, UV, Gammastrahlen und nun Gravitationswellen lieferten alle unterschiedliche Informationen", erklärt Weiss. "Jetzt können wir noch mehr herausbekommen."
Mithilfe dieser und folgender Entdeckungen können Physiker auch ihre Theorien überprüfen. Greifen sie noch unter den extremen Bedingungen von Schwarzen Löchern oder eben Neutronensternen? Anhand des bereits gemessenen Signals hätten sie bereits überprüft, ob Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sich bewährt, sagt Buonanno. Mit dem Ergebnis: "Sie hat erneut standgehalten."
Gibt es einen Nobelpreis? - Ob die erste Messung von Gravitationswellen auch ganz praktische, irdische Konsequenzen nach sich zieht? "Wir sind dadurch jedenfalls nicht dichter dran an Zeitreisen, auch wenn er sich das wünschen würde", antwortet Thorne.
Zumindest für drei der mehr als tausend Beteiligten kann sich die Entdeckung jedoch noch auszahlen: Dass es einen Nobelpreis dafür geben wird, da ist sich Alessandra Buoanno sicher. Sie vertraue auch darauf, dass das Kommitee eine gute Entscheidung treffe, sagt sie.
Falls die schwedische Organisation allerdings nicht ihre Regeln ändert, wird es - wie bei der Auszeichnung für die Entdeckung des Higgs-Bosons - eine schwierige Aufgabe, unter den vielen, vielen Beteiligten nur drei auszuwählen.