GESELLSCHAFT
Großer Fortschritt bei Bekämpfung von Aids erzielt
Baku, den 24. Dezember (AZERTAG). Ein neuer Wirkstoff konnte bei Aids-Patienten innerhalb von zehn Tagen die Zahl der gefährlichen Viren um 91 Prozent verringern.
Das HI-Virus hat eine raffinierte Strategie entwickelt, um sich im menschlichen Körper auszubreiten und zu vermehren. Bestehend aus Enzymen, einer Kapsel, einer Hülle und verschiedenen Rezeptoren macht es sich, einmal im Blut, auf die Suche nach Körperzellen, in die es eindringen kann.
Besonders auf die T-Zellen, die Wächter unseres Immunsystems, hat es das Virus abgesehen. T-Zellen sind dafür zuständig, Krankheitserreger zu erkennen und durch Signale an andere Zellen zu steuern, wie Viren und Bakterien abgewehrt und vernichtet werden. Bei einem Angriff von HI-Viren aber sind T-Zellen ziemlich machtlos. Das Virus spürt sie mithilfe seiner Rezeptoren auf und baut seine eigene Erbinformation direkt in die menschliche DNA. So verschmelzen beide miteinander, und das HI-Virus kann sich vermehren und weitere Zellen im Körper infizieren. Die T-Zellen als unfreiwillige Helfer erhalten dabei nicht nur dauerhaft das Virus am Leben, sondern verlieren auch ihre wichtige Funktion im Immunsystem.
Die Taktik des HI-Virus macht es sehr schwierig, wirksame Therapien zu entwickeln. Denn diese sollten sowohl eine Vermehrung des Virus in den Körperzellen verhindern als auch die Funktion der T-Zellen erhalten, damit das Immunsystem nicht zusammenbricht. Bei der Entwicklung von Medikamenten konzentrieren sich Forscher deshalb auf den Schwachpunkt des Virus: Wie alle Viren ist es ohne eine Wirtszelle nicht lebensfähig. Die neuen sogenannten Entry-Inhibitoren versuchen deshalb, in der frühesten Phase der HIV-Infektion einzugreifen und den Eintritt der Viren in die T-Zellen zu blockieren.
Ein internationales Forscherteam um Wolf-Georg Forssmann und Reinhold Schmidt von der Medizinischen Hochschule Hannover hat nun ein ganz neues Prinzip entwickelt, mit dem sich verhindern lässt, dass die HI-Viren die Kontrolle in den Körperzellen übernehmen. Die Wissenschaftler entwickelten ein Peptid, also ein kleines Protein aus mehreren Aminosäuren, das auf der Hülle des Virus ein wichtiges Eiweiß blockiert. Dieses Eiweiß, den „sticky finger“, braucht der Erreger, um sich auf der T-Zelle verankern zu können. Schafft er das nicht, gibt es auch keine Verschmelzung, und das Virus kann sich nicht vermehren.
In der jetzt in „Science Transnational Medicine“ erschienenen Studie wurde der VIR-576 getaufte Wirkstoff nun erstmals am Menschen getestet - mit Erfolg. „Das ist ein ganz neues Wirkprinzip gegen Viren. Die Bindung an das Fusions-Eiweiß hat bei Menschen bisher nicht geklappt“, sagt Schmidt. Die Forscher verabreichten den Wirkstoff über eine Dauerinfusion 18 HIV-infizierten Patienten in drei verschiedenen Dosen zehn Tage lang. Das kleine Peptid hemmte die Vermehrung von HI-Viren bei den Patienten und reduzierte in der höchsten Dosis von fünf Gramm pro Tag die Anzahl der aktiven Viren im Blut um ganze 91 Prozent.
Zwar reagierten die Patienten unterschiedlich stark auf das Peptid, doch alle zeigten eine deutlich verringerte Virenlast im Blut. „Warum VIR-576 etwas unterschiedlich wirkt, können wir im Detail noch nicht erklären. Dazu bedarf es noch weiterer Forschung“, erklärt Schmidt. Nebenwirkungen mit anderen Medikamenten traten während des Versuchs nicht auf. Einige der behandelten Patienten bekamen aber leichte, durch den Wirkstoff verursachte Symptome wie Ausschläge, Kopfschmerzen oder Fieber.