POLITIK
Bilaterale Beziehungen Aserbaidschan–Deutschland: Geschichte, Entwicklung und Aussichten
Baku, 13. März, AZERTAC
Deutsche Spuren in Aserbaidschan sind heutzutage auf den ersten Blick nur noch schwer zu finden. Dennoch gibt es bei genauerer Betrachtung ein bemerkenswertes Erbe, welches die ersten deutschen Siedler und später auch individuelle Einwanderer seit Anfang des 19. Jahrhunderts im Südkaukasus hinterlassen haben.
Bei den ersten Kolonisten, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts aus der schwäbischen Heimat auf den Weg gen Osten machten, handelte es sich vor Allem um Landwirte und Handwerker. Sie kamen auf Einladung des russischen Zaren Alexander I. zunächst auf das Gebiet des heutigen Georgiens. Nach Rückschlägen bei der Ansiedlung im Großraum Tiflis zogen etwa 40 Familien weiter und ließen sich in der Nähe der Stadt Elisabethpol (heute Gänjä in Westaserbaidschan) nieder, wo 1818 die erste Kolonie Helenendorf (heute Göygöl) gegründet wurde.
Die Siedlerfamilien kehrten Deutschland den Rücken und wagten den Schritt ins Unbekannte. Die zweite deutsche Kolonie Annenfeld (heute Shamkir) wurde etwa 40km entfernt von Helenendorf gegründet und begann sich genauso prächtig zu entwickeln wie die deutsche Schwesterstadt. Eine Reihe weiterer Neu - und Ausgründungen folgten.
Die Deutschen brachten neben ihren Habseligkeiten vor allem ihre landwirtschaftlichen und handwerklichen Fähigkeiten mit sich und so begannen die neuen Siedlungen zu wachsen und wirtschaftlich aufzublühen. Die Auswanderer steckten viel Arbeit und Können in ihre neuen Häuser, Grundstücke und Dörfer, die heute teilweise noch gut erhalten sind und bestaunt werden können. Die Zeit überdauert haben zum Beispiel die St. Johanniskirche in Helenendorf (Göygöl) oder die Lutherkirche in Annenfeld (Shamkir). Die ausschließlich dem Lutherischen Glaubensbekenntnis angehörenden Siedler zeichneten sich durch starke Religiosität aus und legten hohen Wert auf die Bewahrung ihrer Bräuche und Traditionen.
Zu besonderer Produktivität brachten es die Deutschen im Bereich des Weinanbaus und der Kelterei. Die Weinreben und der Wein aus den Kolonien erfreuten sich bald in ganz Aserbaidschan hoher Beliebtheit und wurden Anfang des 20. Jahrhunderts sogar bis nach Moskau und Sankt Petersburg gehandelt. Die Weinfabrik der Kolonie Traubenfeld (heute Tovuz) kann noch heute besichtigt werden.
Die deutschen Siedler begrüßten mehrheitlich die am 28. Mai 1918 ausgerufene Unabhängigkeit der Aserbaidschanischen Demokratischen Republik. Die Verfassung garantierte der deutschen Minderheit einen Sitz im Parlament.
Der Anfang vom Ende des deutschen Alltags in Aserbaidschan wurde mit der Annexion der Republik durch Sowjetrussland eingeläutet. Die Selbstverwaltung der Kolonien wurde aufgehoben, die Großbetriebe enteignet, die Religionsfreiheit starkem Druck ausgesetzt. Während der wirtschaftlichen Liberalisierung im Rahmen der „Neuen Ökonomischen Politik“ in den 1920er Jahren erlebte die deutsche Gemeinschaft in Aserbaidschan einen kurzen Augenblick wirtschaftlichen Aufschwungs und Wohlstands. So erreichte zum Beispiel die Weinanbau und -Handelsgesellschaft „Concordia“ eine unionweite Bekanntheit und exportierte Wein ins Ausland. Die Ende der zwanziger Jahre eingesetzte Kollektivierungs- und Repressionspolitik Moskaus setzte dem ein jähes Ende.
Nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Zuge des 2. Weltkriegs wurden alle 22.741 verbliebenen Nachfahren der deutschen Siedler aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit nach Zentralasien deportiert. Viele starben in Arbeitslagern und Sondersiedlungen. Die wenigsten Überlebenden kehrten nach der Rehabilitierung zurück nach Aserbaidschan. Im Jahr 2007 starb Viktor Klein, der letzte Nachfahre der ersten deutschen Kolonisten, im ehemaligen Helenendorf. Sein Wohnhaus wird seit 2014 mit Unterstützung der GIZ zu einem Museum umgestaltet.
Neben den Siedlern hegten auch andere Deutsche des 19. Jahrhunderts ein großes Interesse an Aserbaidschan. So eröffnete die Firma Siemens im Ort Gadabay ein Kupferbergwerk und baute es zum größten des Landes aus. Die Gebrüder Siemens nutzten die neuesten technischen Errungenschaften und fortschrittlichsten Technologien ihrer Zeit, sodass einige Jahre später unweit von Gadabay am Fluss Galakent auch noch ein zweites Kupferwerk eröffnet werden konnte.
Die Firma Siemens nahm zu dieser Zeit den ersten Platz in der aserbaidschanischen Bergbauindustrie ein und konnte einen entscheidenden Beitrag zur örtlichen Infrastruktur und Wirtschaft leisten. Eine Vielzahl von steinernen Brücken zeugen noch in den Hügeln Westaserbaidschans von diesem Kapitel der deutsch-aserbaidschanischen Geschichte.
Zu guter Letzt sind einige Deutsche auch stark mit der Geschichte und dem heutigen Stadtbild der aserbaidschanischen Hauptstadt verbunden. Der Architekt Johann Wilhelm Edel hat sich in einigen Dutzend Wohnhäusern und Bauten Bakus verewigt, darunter einige der prunkvollsten der Stadt, wie dem spektakulären Wohnhaus an der Neftchilar-Allee 103. Auch die Architekten Adolf Eichler und Nikolaus von der Nonne konnten das Stadtbild Bakus maßgeblich prägen mit Bauten wie der Lutherischen Erlöserkirche (Eichler) und dem heutigen Nationalen Kunstmuseum von Aserbaidschan (v. d. Nonne).
Nikolaus von der Nonne war zudem nicht nur Architekt sondern auch von November 1898 bis Ende 1901 Bürgermeister der Hauptstadt sowie städtischer Baudirektor. In dieser Funktion veränderte er das Stadtbild der Innenstadt grundlegend. Auch die durch die sowjetische Regierung abgerissene Alexander-Newski-Kathedrale, zur damaligen Zeit nach der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale die größte orthodoxe Kirche der Welt, ging auf Entwürfe des deutschen Architekten Robert Marfeld zurück.
Der aktuelle Arbeitsbesuch von Präsident Ilham Aliyev auf deutsche Einladung in Deutschland am 13. und 14. März ist von großer Bedeutung für die Ausweitung der Beziehungen und den weiteren Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern.
In Berlin wird er sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz treffen. Einen Monat zuvor nahm Präsident Aliyev an der 59. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) teil, wo er unter anderem in einer Podiumsdiskussion mit dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinyan über die Perspektiven einer Friedenslösung für die Stabilität des Südkaukasus diskutierte. Dem Arbeitsbesuch und der Teilnahme an der MSC war ebenfalls der Arbeitsbesuch einer hochrangigen aserbaidschanischen Wirtschaftsdelegation am 10. Februar vorausgegangen, die von der deutschen Seite im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz empfangen wurde.
In den heutigen Gesprächen in Berlin werden Fragen der bilateralen Beziehungen, wirtschafts- und energiepolitische Inhalte sowie Themen der regionalen und internationalen Sicherheit im Fokus stehen. Aserbaidschan sieht Deutschland als zentralen strategischen Partner innerhalb der Europäischen Union sowohl für die wirtschaftliche Kooperation, wie auch für die politische Zusammenarbeit.
Von deutscher Seite erlangte der energiepolitische Aspekt infolge des von der Russischen Föderation begonnenen Angriffs auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 und des daraus resultierenden Krieges eine neue Dynamik. Aserbaidschan ist seit Jahren bereits einer der wichtigsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik. Über die neuen Liefervereinbarungen Aserbaidschans mit der Europäischen Union liefert Baku nun über den Südlichen Gaskorridor aserbaidschanisches Erdgas aus dem Schah Denis-Feld im aserbaidschanischen Sektor des Kaspischen Meeres durch Georgien und die Türkei nach Griechenland, Albanien und Italien und leistet somit einen essenziellen Beitrag zur Sicherung der europäischen Energieversorgung.
Die bisher größtenteils auf die Förderung und Veredelung von Erdöl und Erdgas ausgerichtete Wirtschaft verfügt dank der geostrategischen Lage, einer jungen und im internationalen Vergleich hoch gebildeten Bevölkerung und einer umsichtigen Regierungspolitik über zahlreiche Chancen, neue Kapazitäten in verschiedenen Bereichen aufzubauen. Beispielsweise Landwirtschaft und Tourismus: Aserbaidschan beteiligte sich aktiv an den international führenden Messen, der Internationalen Grünen Woche (IGW) und der Internationalen Tourismusbörse (ITB) im Januar beziehungsweise März 2023 in Berlin. Ebenfalls bestehen dank der günstigen Energiepreise und Lohnnebenkosten sowie der Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräfte und exzellenter logistischer Anbindungen zu Lande, zu Wasser und im Luftverkehr hervorragende Möglichkeiten für die Ansiedlungen von Industrieproduktion und verarbeitenden Betrieben für hochwertige Exportgüter in die Kaspische Region und den Südkaukasus.
Eine zentrale Priorität Aserbaidschans - auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Beziehungen mit Deutschland - ist der Wiederaufbau der von Armeniens völkerrechtswidriger Besatzung im Jahr 2020 befreiten aserbaidschanischen Gebiete in Karabach und Ost-Sangesur. Neben drei internationalen Flughäfen werden unter anderem Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, um auch international für unternehmerisches Engagement in den befreiten Gebieten zu motivieren. Die Strategie der “Grünen Zone“ sieht vor, dass diese Region vollständig mit erneuerbaren Energien versorgt wird und diese ebenfalls in andere Landesteile sowie transnational exportiert. Die geografischen Bedingungen für Solar- und Windenergie, aber auch für den Aufbau einer Wasserstoffproduktion, sind hervorragend. Das Potenzial der erneuerbaren Energien in Aserbaidschan beträgt etwa 200 GWh, was für die deutschen Unternehmen interessante Möglichkeiten bietet.
In Bezug auf die Sicherheitslage strebt Aserbaidschan eine Friedenslösung mit Armenien an. Die Verhandlungen hierfür werden von verschiedenen internationalen Akteuren - Russland, den USA und der EU - aktiv begleitet. Bislang lässt die armenische Führung den Worten von Premierminister Paschinyan allerdings nur zögernde Taten folgen und die wiederholten Provokationen Armeniens gegenüber Aserbaidschan an der international anerkannten Grenze führen zu einer Verlangsamung des Prozesses. Aserbaidschan garantiert gleiche Bürger- und Minderheitenrechte für die armenischen Bewohner in Karabach im Rahmen seiner staatlichen Verfassung. Erste Gespräche zwischen Baku und Vertretern der Karabach-Armenier haben hierzu bereits stattgefunden. Für Aserbaidschan wiederum ist die Nutzung des Sangesur-Korridors, der die Autonome Republik Nachtschiwan über die armenische Region Sjunik mit dem Rest Aserbaidschans verbinden soll, wie es aus der trilateralen Erklärung zwischen Aserbaidschan, Armenien und der Russischen Föderation vom 10. November 2020 hervorgeht, von zentraler Bedeutung für die regionale Entwicklung. Eine nachhaltige Lösung für die Stabilität im Südkaukasus sowie die Förderung der Friendens- und Aussöhnungsbemühungen zwischen Aserbaidschan und Armenien liegt auch im deutschen, respektive europäischen strategischen Interesse. Hierfür wäre die deutsche Seite gut beraten zu erkennen, dass die Intention Aserbaidschans, das den Prozess derzeit erwiesenermaßen engagierter vorantreibt als das Nachbarland Armenien, auf eine langfristige Lösung dieses Konfliktes in den international anerkannten Grenzen beider Staaten abzielt und die Interessen Bakus hierbei ernst genommen werden sollten.
Vor diesem Hintergrund kann dieser Besuch von Präsident Ilham Aliyev mehr als lediglich eine Symbolgeste sein, sondern dazu beitragen, ein neues Kapitel der deutsch-aserbaidschanischen wie auch der europäisch-südkaukasischen Beziehungen einzuleiten.
Aserbaidschan und Deutschland pflegen seit 1992 gute bilaterale Beziehungen. Für Deutschland ist Aserbaidschan der wichtigste Wirtschaftspartner im Kaukasus. In Baku unterhält Deutschland die einzige Auslandshandelskammer der Region. Aserbaidschan ist unter den zehn wichtigsten Rohöllieferanten Deutschlands. Bei der Ausfuhr stehen Maschinen, Kraftfahrzeuge und -teile, Eisen- und Stahlerzeugnisse sowie Fabrikationsanlagen im Vordergrund.
Die EU will künftig deutlich mehr Gas aus der Südkaukasus-Republik Aserbaidschan beziehen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev unterzeichneten am 18. Juli 2022 eine Absichtserklärung, wonach über den südlichen Gaskorridor innerhalb von fünf Jahren doppelt so viel Gas im Jahr geliefert werden soll wie bisher. Ab 2027 sollen demnach jährlich mindestens 20 Milliarden Kubikmeter fließen.
Schwerpunkte der regionalen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit sind nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, Umwelt- und Klimaschutz.
Deutsch wird an zahlreichen aserbaidschanischen Schulen und mehreren Universitäten gelehrt. Die Spracharbeit des Goethe-Instituts Tiflis wird durch das Sprachlernzentrum (SLZ) als Kooperationspartner gewährleistet. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) vergibt jährlich zahlreiche Stipendien und fördert den Wissenschaftleraustausch. Der DAAD ist mit einem Informationszentrum (IC) an der regional zuständigen Außenstelle in Tiflis präsent. Es besteht eine Vielzahl an Kooperationen zwischen deutschen und aserbaidschanischen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen.
Aserbaidschan und Deutschland pflegen gute Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich. Im Jahr 2022 belief sich der Handel zwischen den beiden Ländern auf 1 Milliarde 255 Millionen US-Dollar. Deutschland rangiert auf Platz 8 unter den wichtigsten Außenhandelspartnern Aserbaidschans. In diesem Jahr summierte sich der Wert der aus Aserbaidschan nach Deutschland exportierten Produkte auf 591,3 Millionen US-Dollar.
In Aserbaidschan sind 239 deutsche Unternehmen registriert, von denen 166 derzeit aktiv sind. Diese Unternehmen sind in den Bereichen Industrie, Landwirtschaft, Transport, Kommunikation, Bauwesen, Banken, Versicherungen, Handel und Dienstleistungen tätig.
Zwischen Ludwigshafen und Sumgayit besteht eine sehr aktive Städtepartnerschaft sowie zwischen Baku und Mainz eine Städtefreundschaft.