GESELLSCHAFT
Biologen nutzen die Intelligenz der Masse
Baku, den 8. November (AZERTAG). Ein Computerspiel revolutioniert die Biochemie: Weltweit puzzeln Spieler um die Wette. Nebenbei erschaffen sie so das perfekte Eiweiß.
Selbst die schnellsten Rechner der Welt können da nicht mithalten. Die Online-Gemeinde löst die Probleme einfach schneller - dank der gesammelten Intelligenz der Masse. Das macht sich das Team um Seth Cooper und Firas Khatb von der Universität Washington zunutze. Sie beschäftigen sich mit der Faltung von Proteinen.
Mit ihrem Programm “Foldit” (etwa „Falte es richtig!“) gilt es, ein Protein in die beste Form zu falten. Ziel ist, das stabilste Eiweiß für einen bestimmten Zweck zu finden. Der Spieler, der dabei am besten abschneidet, nimmt einen Spitzenplatz der Highscore-Liste ein. Anders als bei so manchem Spiel im Internet „fold.it“ muss man auch bei stundenlanger Daddelei kein schlechtes Gewissen haben. Denn: Wer hier mitspielt, hilft der Forschung. Die so gefundenen Protein-Strukturen könnten den Biologen sogar helfen, neue Medikamente zu schaffen.
Proteine bestehen aus langen Ketten aus Aminosäuren. Diese haben verschiedene chemische und physikalische Eigenschaften. Diese knüddeln sich zu einem Protein zusammen, wie ein Bündel Wollfäden. Doch wie genau diese Struktur aussehen wird - das ist auch für einen Supercomputer schwierig zu errechnen.
Manche Aminosäuren stoßen einander stärker oder schwächer ab, andere ziehen sich an, dritte bilden schwache Bindungen zwischen ihren Wasserstoffatomen. Die Zahl möglicher Variationen sind unüberschaubar groß - sie alle schlicht und einfach mit brutaler Kraft durchzurechnen, funktioniert nicht.
Foldit vergibt immer dann viele Punkte, wenn besonders wenig Energie nötig ist, um das Protein am Bildschirm in Form zu halten. Diesen Zustand streben Proteine auch in der Natur an.
Das mit der Maus leicht zu bedienende Programm ist bereits seit einiger Zeit online und setzt keine großen Biologie-Kenntnisse voraus. Erst im September präsentierte das Foldit-Team im Journal “Nature Structual & Molecular Biology” eine der Lösungen ihres tausende Köpfe umfassenden “Kollegenkreises”. Berichtet wurde von einem viralen Protein, für das sich bis dato keine plausible dreidimensionale Form angeben ließ. Die Foldit-Gemeinde schaffte es - und gehört damit zu den Co-Autoren der Studie.
Nun haben die Mitspieler zusätzlich die Möglichkeit, in die besten “Rezepte” zum Falten von Proteinen aufzuzeichnen und untereinander auszutauschen. Auch dabei sind die Spieler sehr erfolgreich, berichtet das Team um Firam Khatb jetzt in den “Proceedings” der US-Akademie der Wissenschaften. Die Rezepte zeichnen verschiedene Arbeitsschritte auf, die hintereinander abgespult werden.
Die Spieler entwickelten bislang 5400 verschiedene Rezepte, schreibt Khatb. Darunter sind einerseits neue und andererseits weiterentwickelte Varianten besonders erfolgreicher Falt-Strategien. “Die erfolgreichsten Rezepte verbreiteten sich schnell durch die Gruppe der Mitspieler, zwei davon nehmen eine dominante Rolle ein”, analysierten die Forscher.