GESELLSCHAFT
Etwa drei bis vier Prozent der Kinder schlafwandeln häufig
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Baku, 24. September, AZERTAC
Schlafwandler geraten mitunter in skurrile oder gefährliche Situationen. Was Betroffene gegen die Schlafstörung tun können - und warum Kinder nur selten eine Therapie brauchen.
Es gibt Schlafwandler, die richten sich nachts nur im Bett auf, zupfen an der Bettdecke herum und sacken wieder zurück ins Kissen. Und es gibt jene, von denen der Psychologe und Buchautor Hans-Günter Weeß berichtet: die aufstehen und kochen, mit dem LKW über die Autobahn donnern, auf dem Hausdach spazieren, schwimmen gehen oder putzen.
An diese nächtlichen Aktivitäten können sich die Betroffenen am nächsten Morgen nicht erinnern. Auch die junge Frau nicht, die nachts immer kochte, um anschließend wieder ins Bett zu gehen. Nur an das eine Mal, an dem sie einen Turnschuh zubereitete, erinnert sie sich. Aufgrund der Rauchentwicklung kam die Feuerwehr und weckte sie auf.
Was passiert beim Schlafwandeln? - Etwa ein bis zwei Stunden nach dem Einschlafen und somit noch in der ersten Tiefschlafphase kommt es zur Aufwachstörung: Schon ein einfacher Reiz wie eine volle Blase oder ein lautes Geräusch reichen, um jene Schaltkreise des Gehirns zu aktivieren, die bestimmte Bewegungsabläufe wie Gehen oder LKW-Fahren steuern.
Das übrige Gehirn ruht weiter. Die Kontrolle durch das Bewusstsein fehlt also komplett. Die Betroffenen stehen auf und bewegen sich, sie agieren automatisch. Dabei spüren sie oft weder Schmerz noch Kälte und erkennen auch ihre Angehörigen nicht. Werden sie geweckt, reagieren sie häufig aggressiv.
Über die eigentlichen Ursachen des Schlafwandelns, auch Somnambulismus genannt, weiß man bislang nur wenig. In etwa 50 Prozent gibt es Hinweise auf eine genetische Vorbelastung. "Bis zu etwa 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen schlafwandeln", sagt Psychologe Weeß, Leiter des Schlafzentrums Klingemünster, Pfalzklinikum, der das Buch "Die schlaflose Gesellschaft" geschrieben hat. Etwa drei bis vier Prozent der Kinder schlafwandeln häufig. Zumeist verliert sich diese Schlafstörung, die unter den Oberbegriff Parasomnien fällt, nach der Pubertät.
Hirnreifung noch nicht abgeschlossen - Die Zahl der betroffenen Kinder ist so hoch, weil bei ihnen die Hirnreifung noch nicht abgeschlossen ist: "Die Hirnregionen, die den Schlafablauf steuern, arbeiten manchmal unkoordiniert", erklärt Kinderarzt Alfred Wiater vom Krankenhaus Porz am Rhein. Es liege keine neurologische oder psychologische Problematik vor, beruhigt Wiater, der auch Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DFGSM) ist.
Der Schlafforscher Thomas Penzel, wissenschaftlicher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité, rät: "Eltern sollten ein Tagebuch führen. Tritt das Schlafwandeln mehrmals die Woche auf, ist es ratsam, ein Schlaflabor aufzusuchen." Aber das sei in den wenigsten Fällen notwendig.
Auch rund zwei bis vier Prozent der Erwachsenen schlafwandeln. "Bei mindestens einem Drittel von ihnen beginnt das Schlafwandeln erst nach dem 16.Lebensjahr", sagt Wiater. In diesen Fällen sei es ratsam zum Arzt zu gehen, um etwaige organische oder psychische Ursachen ausschließen zu lassen.
Es gibt vermeidbare Auslöser fürs Schlafwandeln: Alkohol etwa verändert den Tiefschlaf ebenso wie manche Schlafmittel. Weeß berichtet von einem Patienten mittleren Alters, der immer Dienstag-, Donnerstag- und Sonntagnacht schlafwandelte. Dabei suchte er die Toilette, fand sie aber nicht und fehlinterpretierte andere Orte in der Wohnung als WC - einmal auch die Nachttischschublade seiner Frau, in der wichtige Dokumente lagen. Sie schickte ihn daraufhin zum Arzt.
Nach eingehender Befragung fand dieser heraus, dass der Mann immer dienstags, donnerstags und sonntags Fußballtraining hatte und danach mit seinen Teamkollegen Bier trank. "Der Alkohol war das Problem", so Weeß.