WIRTSCHAFT
Milliarden-Deal gegen den Ölpreisverfall
Baku, 8. April, AZERTAC
Ben van Beurden kann offensichtlich sehr überzeugend sein - auch am Telefon. Der Vorstand des britisch-niederländischen Energiekonzerns Royal Dutch Shell rief kurzerhand bei Andrew Gould, dem Chef der britischen BG Group an, um ihm ein Übernahmeangebot zu unterbreiten. „Wie ich das gemacht habe? Ganz einfach: Ich habe Andrew angerufen und wir haben diskutiert“, erklärte der Firmenlenker am Mittwochmorgen in einer Telefonkonferenz. „Es hat schnell Sinn gemacht.“
Die beiden Manager haben sich geeinigt. Für 46,6 Milliarden Pfund, umgerechnet 63,85 Milliarden Euro, will Shell den Gaskonzern BG übernehmen, es ist eine der größten Fusionen in der Energiebranche seit mehr als zehn Jahren. Anfang 2016 soll der Megadeal abgeschlossen sein, die Unternehmen versprechen sich davon Synergien im Wert von mehreren Milliarden Dollar pro Jahr. „Damit sind wir zum Ende des Jahrzehnts ein neues Unternehmen“, sagte van Beurden.
Mit der Zusammenführung entsteht nach Angaben von van Beurden der weltweit führende Anbieter für Flüssigerdgas (LNG). „Wir integrieren Stärken der Unternehmen, sowohl beim LNG- als auch im Tiefwassergeschäft.“ Das neue Unternehmen habe große Wachstumschancen, sagte van Beurden. Das ist ihm der hohe Kaufpreis offenbar wert.
„Es ist viel Geld“, gab der Shell-Chef zu. Gleichzeitig würden jedoch Beteiligungen im Wert von 30 Milliarden Dollar, umgerechnet 27,61 Milliarden Euro, abgestoßen. „Dies ist der richtige Moment“, sagte van Beurden, „wir schaffen eine großartige Firma, die mit einer Bandbreite von Ölpreisen zurecht kommt.“
Shell rückt Exxon auf die Pelle - Ende Januar hatte sich das noch anders angehört. Shell hatte damals angekündigt, die Investitionen in den kommenden drei Jahren um 15 Milliarden Dollar, umgerechnet 13,8 Milliarden Euro, zu kürzen, auf den Nordseeplattformen fielen Hunderte Stellen weg.
Als Grund führte der Energiekonzern den niedrigen Ölpreis an, Shell hatte seine Prognosen für 2014 deshalb um rund 20 Prozent verfehlt. Am Mittwoch zeigte sich van Beurden jedoch zuversichtlich, dass der Ölpreis wieder steigen werde. „Wir glauben, dass der Deal für eine große Bandbreite von Rohstoffpreisen Sinn macht, nicht nur wegen des Ölpreises“, sagte auch Andrew Gould, Vorstandschef der BG Group.
Über zehn Jahre lang hatte es keine vergleichbare Fusion gegeben. 1999 hatte Exxon für 80 Milliarden Dollar den Wettbewerber Mobil übernommen, 2001 schlossen sich Chevron und Texaco zusammen. British Petroleum hatte sich mit dem Kauf von Arco und Amoco ebenfalls vergrößert. Mit der Übernahme rückt Shell jetzt etwas näher an den Marktführer ExxonMobil heran.
Kartellbehörden müssen noch zustimmen - BG hatte zuletzt große Schwierigkeiten, das britische Unternehmen musste im vergangenen Jahr Milliarden abschreiben. Nicht nur der niedrige Ölpreis, sondern auch die rückläufigen Ölreserven in Ägypten setzten den Konzern unter Druck.
„Es ist ein wichtiger Moment für beide Firmen“, sagt Vorstandschef Gould, „die BG-Gruppe bringt großartige Vermögenswerte mit.“ Dazu gehören unter anderem Anlagen in Brasilien, Australien und Großbritannien.
Shell und BG rechnen damit, ihren Deal im ersten Quartal 2016 abzuschließen. „Es gibt eine Reihe von regulatorischen Angelegenheiten. Das ist nur normal bei einem Geschäft dieser Größe“, sagt Shell-Chef van Beurden. Sowohl die Wettbewerbshüter in Brüssel als auch die Kartellbehörden in Brasilien, China und Australien müssen ihre Zustimmung geben, bevor der Zusammenschluss vollzogen werden kann. Ben van Beurden ist zuversichtlich, den Zeitplan einhalten zu können: „Wir haben bislang keine Probleme identifiziert“, sagt der Niederländer.
BG hatte erst kürzlich mit Helge Lund einen neuen Topmanager engagiert. Er war vom norwegischen Ölkonzern Statiol abgeworben worden und soll nun die Integration von BG begleiten.