GESELLSCHAFT
Krebs – die Geißel, die uns alle verfolgt
Baku, den 22. Februar (AZERTAG). Ein großes Buch über die Plage der Menschheit. Siddhartha Mukherjee verändert mit seiner Biografie des „Königs der Krankheiten“ unser Verhältnis zum Krebs.
Es ist Krieg. Das Schlachtfeld ist der Körper. Es könnte jeder Körper sein, auch wenn Alte oder Raucher häufiger heimgesucht werden als die Jungen und jene, die Gifte meiden. Aber es kann auch Kinder treffen. Oder eine junge Frau in der Blüte ihrer Schönheit. Die Schlacht schleicht sich ein, so verstohlen, dass man lange nicht mitbekommt, wie sehr sie schon tobt. Wenn man es bemerkt, an der plötzlichen Kurzatmigkeit, an der Erschöpfung, daran, dass sich etwas auf der Haut, unter der Haut verändert hat, ist es oft schon zu spät.
Der Feind hat Terraingewinne gemacht, verrichtet längst sein Zerstörungswerk. Er ist so furchterregend gut darin. Gräbt sich ein. Taucht an unerwarteten Orten wieder auf, wenn man ihn besiegt glaubte, kehrt an mehreren Fronten zurück, stärker denn je. Es macht einen schier verrückt, ihn nicht loswerden zu können. Eines Tages, es ist Jahre her, dass man sich gerettet wähnte, ist er wieder da. Hier, sagt der Arzt, und zeigt einem das Bild. Manchmal ist man zu müde, um sich noch auflehnen zu wollen.
Siddhartha Mukherjee hat diese Geschichte verfolgt, die Geschichte des Krieges, den der Krebs gegen die Menschen führt, und jener Gegenangriffe, mit denen der Mensch ihn in die Flucht zu schlagen versucht. „Der König aller Krankheiten: Krebs - eine Biografie“ ist ein bedrückendes Buch, weil es von so vielen Niederlagen berichtet. All die Toten. All die armen Patienten, die unter der Behandlung ihrer Krankheit so entsetzlich leiden müssen, dass man nicht mehr versteht, warum sie noch leben wollen. All die Ärzte, die nichts ausrichten können, so groß ihr Heilungsfuror, so radikal ihre Behandlungsmethode auch sein mag.
Es geht ans Gefühl, an den Weltoptimismus, dann und wann auch an die Ehre, so etwas zu lesen. Schließlich sind die besten Mediziner und Forscher damit beschäftigt, ein Mittel zu finden. Wie kann es sein, dass der verdammte Krebs nicht kapituliert? Sondern die Menschen immer wieder zur Kapitulation zwingt?
Dennoch ist der „König aller Krankheiten“ ein ganz wunderbares Buch. Nicht nur, weil es so spannend, so elegant, so ungeheuer reich an Wissen ist. Sondern vor allem, weil es auch von der Hoffnung erzählt. Von einer Empathie, die Mediziner und Wissenschaftler daran hindert, Krebskranke aufzugeben. Und von jenen gigantischen Anstrengungen, die unternommen werden, um Patienten, die oft nicht zu retten sind, das Leben zu verlängern, um Monate, Wochen, ein allerletzter Versuch noch, es ist wichtig, dass die Zeit auf Erden gedehnt wird.
Das Erstaunliche: Siddhartha Mukherjee ist kein Autor, sondern Onkologe, ein 42-jähriger Inder, der an der New Yorker Columbia University Krebszellen erforscht und an der Universitätsklinik Patienten behandelt. „Der König der Krankheiten“ ist sein Erstlingswerk, geschrieben in Fünfzehn-Minuten-Ausbrüchen, morgens beim Frühstück, abends vor dem Einschlafen, am liebsten im Bett, weil er dort, wie er sagt, am besten in den Formulierungsfluss kam.