GESELLSCHAFT
Wenn Stress unter die Haut geht
Baku, den 25. Februar (AZERTAG). Psychische Belastungen können manche Hauterkrankungen massiv verschlimmern. Forscher ergründen, wie Sorgen und Ärger Neurodermitis und andere Entzündungen fördern - und leiten daraus Ratschläge für Betroffene ab.
Am 17. Januar 1995 um 5.46 Uhr bebte im Süden Japans die Erde. In nur 20 Sekunden löschte die Naturkatastrophe von Kobe mehr als 6000 Menschenleben aus und vernichtete die Häuser von rund 300.000 Personen. Die gewaltige Zerstörung ging auch an der Psyche der Betroffenen nicht spurlos vorbei. Wie zahlreiche Studien belegen, litten in den zerstörten Gebieten plötzlich viel mehr Menschen an stressbedingten Kreislauferkrankungen als in verschonten Gegenden.
Doch die seelischen Strapazen schlugen den Betroffenen nicht nur aufs Herz: Wie Atsuko Kodama vom Osaka Medical Center for Cancer and Cardiovascular Diseases 1999 beobachtete, hat die Katastrophe auch den Hautzustand vieler Menschen mit Neurodermitis deutlich verschlechtert. Mehr als ein Drittel litt vermehrt unter juckenden, entzündlichen Ekzemen.
Menschen mit Hautproblemen wissen: Ärger, Sorgen und Anspannung können die Beschwerden verschlimmern. Besonders entzündliche Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Schuppenflechte (Psoriasis) - eine Autoimmunkrankheit, die eine starke Schuppung der Haut hervorruft - verschlechtern sich gerade dann, wenn eine wichtige Prüfung bevorsteht oder Streit in der Familie herrscht. Die Wurzel liegt dabei in vielen Fällen schon in der Kindheit, wie Edita Simoni und ihre Kollegen von der Universität von Rijeka (Kroatien) 2010 zeigten. Die Forscher befragten Patienten mit Psoriasis und gesunde Kontrollprobanden zu traumatischen Erfahrungen in ihrer Kindheit. Tatsächlich berichteten die von Schuppenflechte Geplagten deutlich häufiger über belastende Erlebnisse. Viele litten erstmals in der Pubertät unter der schuppenden Haut. Möglicherweise verstärkt die emotionale Instabilität in dieser Lebensphase die negativen Auswirkungen traumatischer Erfahrungen, mutmaßen die Forscher.
Doch auf welchen Wegen gehen seelische Strapazen „unter die Haut“? Laut Medizinern und Psychologen bringt chronischer Stress die körpereigene Abwehr aus der Balance - insbesondere, wenn geeignete Bewältigungsstrategien fehlen. Geraten wir in eine stressige Situation, reagieren Nerven-, Hormon- und Immunsystem mit einem komplizierten Anpassungsmechanismus. Einerseits schüttet der Körper vermehrt Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin aus. Sie steigern Herzschlagrate und Blutdruck - was uns auf eine etwaige Flucht vorbereitet. Zusätzlich setzen die Hormone Entzündungsprozesse in Gang. Zellen des Immunsystems wandern aus dem Blut ins Gewebe, um dort potenzielle Krankheitserreger zu attackieren.
Wenig später kommt das Hormon Cortisol ins Spiel. Eine Aufgabe des Stresshormons besteht darin, die durch Adrenalin und Noradrenalin verursachten Entzündungen wieder zurückzufahren. Chronische Belastungen, vor allem in der Kindheit, können die Balance dieser beiden Stressreaktionen verschieben. So kann es passieren, dass der Körper irgendwann nicht mehr genug Cortisol produziert. Sind die Betroffenen dann starken psychischen Strapazen ausgesetzt, werden die resultierenden Entzündungen nicht mehr gedämpft - ein Freifahrtschein für Neurodermitis und Co.