GESELLSCHAFT
Woran viele EHEC-Opfer heute noch leiden
Baku, den 14. Dezember (AZERTAG). Der weltweit größte Ausbruch von EHEC im Mai dieses Jahres hat die Menschen in Atem gehalten: Doch kaum jemand weiß, dass viele Patienten immer noch leiden.
An einige Tage im Mai dieses Jahres hat Michael Frotscher keine Erinnerung. Am Wochenende hatte der Professor für Neurobiologie einen Berglauf in Süddeutschland absolviert, nun lag er auf der Intensivstation im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg.
Die Ärzte versetzten ihn in ein künstliches Koma. Sie hatten EHEC mit der schweren Verlaufsform HUS bei dem 64-Jährigen diagnostiziert, zwischendurch stand sein Leben auf der Kippe.
Als er wieder zu sich kam, hatte der Mediziner mit Problemen zu kämpfen: Wassereinlagerungen, Erschöpfung, auch sein Nervensystem war betroffen. An einen der schlimmsten Momente erinnert er sich genau: „Bei einer größeren Visite wusste ich, was ich antworten wollte, aber ich habe es nicht hinbekommen, es zu sagen“, erzählt Frotscher bei einem Symposium mit EHEC-Patienten in Hamburg, sechs Monate nach seiner Erkrankung.
„Ich habe diese Infektion zunächst maßlos unterschätzt.“ Bei den ersten Symptomen habe er auf seine Grundkenntnisse der Medizin vertraut. „Ich dachte, das ganze sei mit Zwieback und Tee in den Griff zu bekommen“, erzählt der Professor im Hörsaal des Universitätskrankenhauses (UKE).
Statt Studenten sitzen an diesem Montagabend Patienten vor ihm, die ähnliches durchgemacht haben. Viele litten an der lebensbedrohlichen Form HUS, die zu Nierenversagen, Veränderungen im Blutbild und neurologischen Problemen führt.
EHEC hat das Leben der Patienten nachhaltig verändert. Zwar hat der Einsatz eines Antikörpers die Schäden an Nieren, Gehirn und Blutbild vieler Patienten schnell und deutlich vermindert. Oft blieben aber Folgebeschwerden - auch psychische. „Ein Viertel der Patienten leidet noch unter Bauchbeschwerden“, berichtet Dr. Viola Andresen. Viele hätten noch immer Bluthochdruck.
Auch aus neurologischer Sicht seien nicht alle Patienten wieder bei voller Leistungsfähigkeit, sagt Neurologe Prof. Christian Gerloff. Auch Ängste und Depressionen gebe es noch, ist zu hören.
Die Unsicherheit der Patienten ist immer noch zu spüren. Orientierungslosigkeit, hoher Blutdruck, Magen-Darmbeschwerden, Wortfindungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Probleme beim logischen Denken oder mit dem Kurzzeitgedächtnis - Frauen und Männer berichten von solchen andauernden EHEC-Folgen.
„Sechs Monate sind für so einen schweren Zustand nicht lang“, entgegnet Friedrich Hagenmüller der Frage nach Besserung. Die Mediziner haben auch eine gute Nachricht: „Wahrscheinlich kann der Erreger Sie nicht noch mal krank machen“, sagt der Gastroenterologe Prof. Ansgar Lohse.
Auch bei Michael Frotscher hat es gedauert, bis er wieder fit war. „Ich hatte Mühe zu sprechen - das war nicht gleich weg.“ Sein Blutdruck ist immer noch zu hoch. Der Mediziner nimmt das Joggen als Indikator für die Besserung. „Dort seh' ich, dass das ein langsamer Prozess ist.“
Am Anfang seien selbst kurze Wege zu anstrengend gewesen. Mittlerweile schafft der 64-Jährige wieder 15 bis 20 Kilometer. Die Leichtigkeit fehle aber noch. Und noch etwas hat die Krankheit verändert: „Ich habe ein anderes Gefühl für jeden Tag und jede Stunde.“