GESELLSCHAFT
Alge trotzt dem Klimawandel mit rasanter Evolution
Baku, den 9. April (AZERTAG). Gute Nachricht von deutschen Forschern. Die weit verbreiteten Kalkalgen können sich besser als vermutet an saurer werdende Ozeane anpassen. Die Einzeller sind ein zentrales Element der Nahrungskette. Doch Experten warnen - vielen anderen Meeresbewohnern wird dies nicht gelingen.
Sie sind winzig klein, aber sehr, sehr viele - und dadurch kommt ihnen auch eine wichtige Rolle im Ökosystem der Meere zu: Einzellige Kalkalgen, die in den oberen Meeresschichten leben, zählen, binden per Photosynthese Kohlendioxid und bilden als Teil des Planktons das unterste Ende der Nahrungskette.
Unter günstigen Bedingungen sind sie sogar vom All aus zu sehen, denn die Winzlinge können riesige Algenblüten verursachen. Doch um das Plankton steht es generell nicht gut. Die Menge in den Meeren ist drastisch zurückgegangen, was das Ökosystem Meer an seiner Basis erschüttert. Forscher vermuten, dass der Schwund der Winzlinge im Wesentlichen auf den Klimawandel zurückzuführen ist.
Bei den Kalkalgen ist bekannt, auf welche Weise ihnen der Klimawandel schadet. Die Einzeller bilden ein Skelett aus Kalk, ein Prozess, der in saurem Wasser schlechter funktioniert. Und zurzeit werden die Meere saurer, da der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre steigt. Denn CO2 löst sich im Wasser, wo es zu Kohlensäure reagiert. Die Versauerung betrifft nicht nur den mehr als 300 Arten von Kalkalgen, sondern auch kalkbildende Muscheln, Schnecken und Korallen.
Erst vor kurzem belegte eine Studie, dass die Kalkbildung vieler Algenarten im sauren Wasser stark gehemmt wird - die Forscher entdeckten allerdings auch Exemplare der Art Emiliania huxleyi, die im stark versauerten Wasser vor Chile extrem starke Schalen bildeten.
Langzeitexperiment über 500 Algen-Generationen-Ein Langzeitexperiment von Forschern des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zeigte jetzt erneut das Anpassungspotential der weit verbreiteten Art E. huxleyi. Im Fachmagazin „Nature Geoscience“ berichtet das Forscherteam um Kai Lohbeck von der einjährigen Testreihe. In diesem Zeitraum bringt die Kalkalge durch ungeschlechtliche Vermehrung rund 500 neue Generationen hervor (sie kann sich auch geschlechtlich fortpflanzen, aber das passierte nicht in diesem Experiment). Die Nachkommen tragen also in der Theorie das gleiche Erbgut, doch durch Mutationen können sich neue Merkmale durchsetzen. In einem Versuch starteten die Forscher mit einer Gruppe genetisch identischer Exemplare, in einem zweiten züchteten sie sechs unterschiedliche.
Die Forscher hielten die Einzeller unter heutigen CO2-Bedingungen sowie unter denen, die für das nächste Jahrhundert vorhergesagt werden und überprüften Wachstums- und Kalkbildungsrate. „Die kleinen Kalkplättchen, aus denen Emiliania huxleyi ihre schützende Hülle aufbaut, waren unter erhöhten CO2-Bedingungen zunächst dünner und leichter. Das hatten wir erwartet“, sagt Kai Lohbeck. „Wir waren aber sehr überrascht, dass die Kalkbildungsrate sich bereits nach 500 Generationen wieder dem ursprünglichen Niveau annäherte.“ Ganz erreichte sie es aber nicht wieder.
Die Untersuchung zeigt, dass sich zumindest diese Einzeller sehr schnell veränderten Bedingungen anpassen können und so wohl auch in der Natur dem Klimawandel trotzen würden. Dies bedeutet aber nicht, dass andere Meereslebewesen die sinkenden pH-Werte der saurer werdenden Meere ähnlich gut verkraften, warnen die Forscher.