GESELLSCHAFT
Chronischer Stress senkt die Risikobereitschaft
Baku, den 18. Februar (AZERTAG). Chronischer Stress senkt die Risikobereitschaft gerade dann, wenn sie gefragt ist - in Krisenzeiten. Schuld sei das Hormon Cortisol, berichten Forscher. Sie warnen vor den Folgen für die Wirtschaft.
Risikofreude ist abhängig vom Cortisolspiegel im Blut, zeigt eine neue Studie. Bisher gingen die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Modelle davon aus, dass die Risikobereitschaft eines Menschen weitgehend konstant ist. Doch steigt der Stress, zirkuliert mehr Cortisol im Blut - und die Risikobereitschaft sinkt.
Das hat Folgen für die Weltwirtschaft: Gerade in Krisenzeiten, in denen Manager stark unter Druck stehen, scheuen sie riskante Entscheidungen, berichten Wissenschaftler in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“).
Chronischer Stress senke die Risikobereitschaft gerade dann, wenn sie besonders wichtig sei, schreiben die Forscher. Dies hatte die Finanzkrise von 2007 bis 2009 gezeigt. Angesichts der einbrechenden Märkte scheuten sich Investoren, fallende Wertpapiere zu kaufen und die Kurse so zu stabilisieren - Analysten sprachen von „irrationalem Pessimismus“. „Händler, Risikomanager und Zentralbanker können nicht erwarten, Risiken zu handhaben, wenn sie nicht verstehen, dass die Treiber von Risikobereitschaft tief in unserem Körper sitzen“, sagt Coates.
Bereits in einer früheren Studie hatten die Forscher um John Coates von der englischen Universität Cambridge gezeigt, dass instabile Märkte bei Händlern an der Londoner Börse die Werte des Stresshormons Cortisol um durchschnittlich 68 Prozent steigerten.
„Beängstigend, dass es niemand weiß“ - Was dies in der Praxis bedeutet, testeten die Wissenschaftler nun an 36 Erwachsenen und verglichen das Verhalten mit einer Kontrollgruppe. Coates und sein Team steigerte die Cortisolwerte ihrer Probanden mit Medikamenten über einen Zeitraum von acht Tagen um 69 Prozent. Während dieser Zeit nahmen die Teilnehmer an einem Lotteriespiel teil, bei dem sie Risiken eingehen und so ihre Gewinne steigern konnten - die dann in echtem Geld ausbezahlt wurden.
Das Ergebnis: Akuter Stress änderte die Waghalsigkeit der Teilnehmer nicht. Doch unter Dauerstress sank ihre Risikobereitschaft um fast die Hälfte. „Jeder Aktienhändler weiß, dass die Märkte seinen Körper auf eine Achterbahnfahrt schicken können“, schreibt Coates in einer Mitteilung seiner Universität. Coates weiß, wovon er spricht, er handelte früher selbst mit Finanzderivaten an der Wall Street.
„Aber wir wussten bis zu dieser Studie nicht, dass diese körperlichen Veränderungen tatsächlich unsere Fähigkeit verändern, Risiken einzugehen“, sagt Coates. Es sei beängstigend, „dass niemand in der Finanzwelt - weder Händler, noch Risikomanager oder Zentralbanker - weiß, dass diese unterschwelligen Verlagerungen der Risikofreude ablaufen.“
Bisher hatten Studien gezeigt, dass Dauerstress auf die Seele schlägt und Angstreaktionen oder Depressionen begünstigt. Auch die Fähigkeit, ergebnisorientiert zu denken, nimmt unter Stress ab.