WELT
Der lange Kampf um den Frieden
Baku, den 29.September (AZERTAG). Ein Urvolk auf Papua-Neuginea löste Konflikte stets auf seine Weise - doch ab 1990 eskalierte plötzlich die Gewalt. Erstmals zogen junge Männer mit Gewehren in den Krieg. Nach 15 Jahren ebbten die Kämpfe wieder ab - Ethnologen untersuchten das besondere Rechtssystem.
Schüsse, Feuer, Chaos: Es war 1990, als erstmals in der Jahrhunderte langen Tradition des Enga-Volkes aufgebrachte junge Männer mit Gewehren durch das Hochland des Inselstaats Papua-Neuguinea zogen. Sie verwüsteten Dörfer, Schulen und Kirchen, Hunderte starben. Die Eskalation der Gewalt brachte das Rechts- und Gesellschaftssystem des indigenen Stamms vollkommen aus dem Gleichgewicht. Erst einige Jahre später fanden die Enga eine Lösung, mit der wieder Frieden einkehrte.
Ethnologen haben den plötzliche Ausbruch der Gewalt untersucht, sie wollten herauszufinden, wie sich das moderne Rechts- und Gesellschaftssystem des Volkes entwickelt hat. „Bei den Engas funktionieren die Dinge nach einem vollkommen anderen Prinzip als bei uns, wo man Täter bestraft und ins Gefängnis steckt“, sagt Polly Wiessner von der Universitiy of Utah im Wissenschaftsmagazin „Science“.
Die Enga hätten eine lange Kriegstradition, erklärt die Forscherin. Die Kämpfe zwischen den verschiedenen Clans gehörten zu ihrem System, Verbrechen zu sühnen. Bei einem Konflikt trafen sich die Gruppen auf offenem Feld, stellten sich in zwei Reihen gegenüber und beschossen einander mit Pfeil und Bogen.
Traditionelle Kämpfe unterdrückt-Über Jahrhunderte hinweg endeten diese Kriege früher oder später mit Verhandlungen der Stammesältesten: Die Gruppe des Täters musste sich beim Clan des Geschädigten entschuldigen und eine Entschädigung zahlen - in der Tradition des Volkes geschah dies meist mit der Gabe von Schweinen. Damit sei der Konflikt beseitigt und die Clans einander wieder gleichgestellt gewesen.
Wie also kam es zu den Schießereien in den Neunziger Jahren?-Dafür mussten die Wissenschaftler ein ganzes Stück weiter in die Vergangenheit blicken. Es waren zunächst die australischen Eroberer, die das Gesellschaftsgefüge der Enga aus dem Gleichgewicht brachten, indem sie die traditionellen Kriege mit Gewalt unterbanden. Erst 1974 erkannten sie das Rechtssystem der Enga an.
Es entstanden Dorfgerichte, deren Mitglieder von den Enga gewählt wurden. Die Operation Mekim Save (OMS), eine Ablegerorganisation der Dorfgerichte, sollte die Friedensverhandlungen zwischen den verschiedenen Gruppen übernehmen - doch sie scheiterte.
Mord, Verbrechen aus Rache, Diebstahl und Streit über Ländereien, es waren die gleichen Straftaten und Beweggründe wie eh und je, über die sich nun junge Männer mit Gewehren aus dem System befreiten.
„Die Enga müssen die OMS selbst zu Konflikten hinzurufen“, sagt Wiessner. Doch oft dauerte das zu lange. Erneut schlugen bewaffnete Polizisten Gefechte unter den Enga brutal nieder. „Die Jugend schreckte nicht mehr davor zurück, Schusswaffen zu benutzen.“
Allein zwischen 1991 und 1995 gab es etwa 835 blutige Gefechte. Bei jedem starben durchschnittlich 19 Menschen. Auch in den folgenden Jahren ebbten die Kriege nicht ab.