GESELLSCHAFT
Hoffnung für das Männererbgut
Baku, den 25. April (AZERTAG). Der Zerfall des männlichen Erbguts schien unaufhaltsam. Nur 19 von 600 Genen, die das Y-Chromosom ursprünglich mit dem weiblichen X-Chromosom teilte, blieben erhalten. Doch nun gibt es Hoffnung - die restlichen Gene scheinen überlebenswichtig.
Das männliche Geschlecht kann auf eine erfolgreiche Zukunft hoffen: Das Y-Chromosom, das im Erbgut einen Mann kennzeichnet, ist stabiler als bislang angenommen. Ein Vergleich verschiedener Tierarten zeige, dass eine Reihe von Genen auf dem Y-Chromosom viele Millionen Jahre überlebt hat, berichten Forscher im Fachmagazin „Nature“. Die Gene hätten nicht nur mit dem Hoden oder der Spermienproduktion zu tun, so die Wissenschaftler.
„Auf dem Y-Chromosom sind etwa ein Dutzend Gene erhalten geblieben, die in Zellen und Geweben im ganzen Körper wirksam werden“, wird David Page vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, US-Staat Massachusetts, in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. „Die Evolution zeigt uns, dass diese Gene wirklich wichtig für das Überleben sind“, ergänzt Pages Kollege Daniel Bellott, Erstautor der Studie.
Funktion nur im Doppelpack - Eine frühere Studie hatte gezeigt, wie dramatisch der Genverlust auf dem Y-Chromosom in 300 Millionen Jahren Evolution war: Nur 19 von 600 Genen, die es ursprünglich mit dem X-Chromosom teilte, blieben demnach erhalten. Von diesen aber hat das menschliche Y-Chromosom dann in den vergangenen 25 Millionen Jahren lediglich eines verloren, schreiben die Wissenschaftler. Der massive Genverlust wird von einigen Genetikern als Indiz gewertet, dass das Y-Chromosom eines Tages endgültig verschwinden wird.
Page, Bellott und Kollegen untersuchten Gene, die sowohl auf dem Y- als auch auf dem X-Chromosom vorkommen. Sie verglichen die Genpaare im Erbgut von Tieren, die in verschiedenen Graden mit dem Menschen verwandt sind: Schimpansen, Rhesusaffen, Weißbüschelaffen sowie Mäuse, Ratten, Hausrinder, Beutelratten und Hühner.
Aus ihren Ergebnissen schließen die Forscher, dass die im Menschen erhaltenen X-Y-Genpaare die Übersetzung von Genen in Eiweiße und deren Stabilität regulieren. Die Gene der X-Y-Paare funktionieren nur in doppelter Ausführung, ein Gen allein reicht nicht.
Krankheiten geschlechtsspezifisch erforschen - Zu einem ähnlichen Ergebnis zur Funktion der langlebigen Gene kommt auch eine Gruppe um Henrik Kaessmann und Diego Cortez von der Universität Lausanne in der Schweiz. Sie verglich Gene der Geschlechts-Chromosomen von 15 Säugetier- und vier Vogelarten miteinander. Dabei ermittelten die Forscher, dass das bei den Säugetieren geschlechtsbestimmende Gen SRY rund 180 Millionen Jahre alt ist.
Dass Männer entgegen aller Befürchtungen vorerst nicht durch den Verfall des Y-Chromosoms aussterben werden, zeichnete sich bereits Anfang 2012 ab. Damals hatten Forscher das Y-Chromosom des Menschen mit dem des Schimpansen und des Rhesusaffen verglichen. Auch hier zeigte sich, dass bei den drei verwandten Arten kein stetiger Genverlust auf dem Chromosom zu beobachten ist.
David Page und sein Team wollen nun herausfinden, was die langlebigen Gene auf dem Y-Chromosom genau bewirken. „Es gibt einen deutlichen Bedarf, in der biomedizinischen Forschung über das geschlechtsunabhängige Modell hinauszugehen“, unterstreicht Page. Krankheiten, die bei Männern und Frauen unterschiedlich ausgeprägt sind, müssten genauer untersucht werden. Dazu gehört etwa das Turner-Syndrom, bei dem die Patientinnen nur über ein X-Chromosom verfügen.