WELT
Fernleihe per Kamel
Baku, den 8. November (AZERTAG). In die Wüste Kenias kommt die Bildung auf vier Beinen. Die Lastentiere der weltweit einzigen Kamel-Bücherei bringen den Nomaden im Osten des Landes Romane, Schulbücher - und ein Versprechen auf ein besseres Leben.
In der Morgensonne flirrt der Staub auf den Straßen von Garrissa, der letzten größeren Stadt im kenianischen Osten vor der somalischen Grenze. Auf dem Platz vor der Bücherei beugen fünf Kamele ihren Hals über ihr Futter. Ihre Kiefer mahlen geruhsam, während Abdulai und sein Kollege schwere Holzboxen voller Bücher ans Sonnenlicht und zu den Tieren tragen. "Garissa Mobile Kamelbücherei" steht auf den Kästen - und: "Lesen ist Wissen".
Vor 15 Jahren zog Kenias einzigartige Kamelbücherei zum ersten Mal los, um den Nomaden der Umgebung Lesestoff zu bringen. Die Idee war aus der Not geboren, denn Garissas Bibliothek hatte einfach zu wenig Kunden. Wenn der Leser nicht zu den Büchern kommt, müssen die Bücher eben zu dem Leser kommen, dachten sich die Bibliothekare.
Heute setzt sich die Karawane aus Kamelen, Bücherboxen und Bibliothekaren fünfmal in der Woche in Bewegung. Sie besucht Schulen, in denen Lesestunden abgehalten werden, und Dörfer, in denen sie Bücher an Erwachsene und Kinder ausleiht. Wer ein Buch verliert, kann nicht mit Nachsicht rechnen: Dessen gesamtes Dorf wird dann von der Mobilen-Bücherei-Liste gestrichen - in diesen Orten voller Staub und Hunger sind Bücher einfach zu kostbar. Und sie sind ein Versprechen auf Bildung - und damit auf ein besseres Leben.
An Straßenhändlern und Handwerkern vorbei trotten die Kamele raus aus Garissa, der Lärm verebbt, nur noch einige Frauen mit Wasserkanistern kommen der Karawane entgegen. Die Straßen versanden, werden zu unwegsamen Pfaden - vor den Kamelen und ihren Führern liegen sechs Kilometer Marsch bis zu einer kleinen Schule.
Mit einem Geländewagen wären die Bücher schneller an Ort und Stelle. Doch diese Idee verbietet sich für Bibliothekar Rashid Farah. Schließlich ziehen die Nomaden dieser Region schon seit Jahrzehnten mit diesen Tieren von Ort zu Ort, sagt er. "Kamele sind eben Teil ihres Lebens". Und die Bücherkamele helfen, Vertrauen aufzubauen.