WISSENSCHAFT UND BILDUNG
Vor 130.000 Jahren war es in der Arktis wärmer als heute

Baku, 18. Juni, AZERTAC
Der Blick in die Tiefe ist spektakulär, der Krach ebenfalls. So beschreibt es jedenfalls Thomas Opel, wenn man ihn nach seinen Reisen zum “Tor zur Unterwelt“, wie es manche nennen, fragt. Zweimal war der Forscher vom Alfred-Wegener-Institut für Polar und Meeresforschung (AWI) in Potsdam schon an der beeindruckenden Permafrost-Abbruchkante beim ostsibirischen Ort Batagai. An einem Berghang hat sich dort ein riesiger Krater gebildet, jeden Sommer bröseln große Mengen an einst gefrorenem und jetzt aufgetauten Boden nach unten.
“Ständig fallen große Brocken herunter und Schmelzwasser fließt.“ Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Russland und Großbritannien hat er am Hang von Batagai eine spektakuläre Entdeckung gemacht, über die sie im Fachmagazin “Quaternary Research“ berichten: Der Boden hier war, das zeigen mehrere Analysen, seit mehr als einer halben Million Jahren durchgängig gefroren.
Das heißt, er hat unter anderem eine außergewöhnlich warme Phase vor 130.000 Jahren überstanden. In der sogenannten Eem-Warmzeit dürften die arktischen Sommer im Schnitt noch vier bis fünf Grad wärmer gewesen sein als aktuell.
Dass der Boden nun taut, hat mit uns Menschen zu tun - aber nicht in erster Linie mit dem von uns durch das Verbrennen fossiler Energieträger verursachten Temperaturanstieg, obwohl der in der Arktis besonders stark ausfällt. Unweit von Batagai liegt etwa der Ort Werchojansk, wo - weit nördlich des Polarkreises - im 2020er-Sommer Temperaturen von 38 Grad gemessen wurden. Ein Team um die Physikerin Friederike Otto von der University of Oxford urteilte, der Klimawandel habe das Risiko für extreme Hitze in Sibirien um mehr als das 600-Fache erhöht. Auch in diesem Jahr erlebte die Region ein viel zu heißes Frühjahr.
Verantwortlich für die Verwüstungen am Krater von Batagai sind jedoch andere Störungen. In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts seien die Nadelbäume der Region gerodet worden, berichtet Forscher Opel, außerdem seien schwere Kettenfahrzeuge eines Bergbaubetriebs auf dem Hang unterwegs gewesen. “Die schützende Vegetationsschicht wurde zerstört, die Wärme konnte tiefer in den Boden eindringen.“
Das habe dafür gesorgt, dass zunächst der obere Teil des Dauerfrostbodens verstärkt getaut sei. Nach und nach habe sich die Schmelze dann auch in tiefere Regionen fortgesetzt, beschreibt der Forscher. Dort lag der Wasseranteil im Boden bei 80 bis 90 Prozent. “Sobald diese Schicht erreicht wurde, gab es kein Halten mehr.“ Weil durch das abrutschende Material beständig neue Bereiche freigelegt werden, geht der Prozess auch weiter.
Der Permafrost, der in Teilen Sibiriens und Nordamerikas teils mehrere Hundert Meter in den Boden hineinreicht, ist einer der wunden Punkte des Klimasystems. Das hat mit den großen Mengen an organischem Material zu tun, die darin eingeschlossen sind: Überreste alter Pflanzen, aber auch von Tieren wie Wollnashorn oder Mammut. In Krater von Batagaika wurde 2018 die Eismumie eines Wildpferdfohlens gefunden, deren Alter auf 30.000 bis 40.000 Jahre geschätzt wurde. Und erst kürzlich haben Forschende Rädertierchen aus dem sibirischen Permafrost wieder zum Leben erweckt, die 24.000 Jahre im Eis eingeschlossen waren.