WISSENSCHAFT UND BILDUNG
Physiker entdecken mysteriöses Teilchen
Baku, den 19. Juni (AZERTAG). Es ist viermal so schwer wie ein Proton, sehr kurzlebig und elektrisch geladen. Ein parallel an zwei Beschleunigern nachgewiesenes Teilchen lässt Forscher rätseln. Es heißt Z(3900) und könnte aus vier Quarks bestehen - das wäre ein Novum.
Wenn es um die Jagd nach unbekannten Teilchen geht, denken die meisten zuallererst ans Cern. Am Kernforschungszentrum in Genf wurde zum Beispiel 2012 das lange gesuchte Higgs-Boson nachgewiesen. Doch spektakuläre Entdeckungen gelingen auch mit deutlich kleineren Beschleunigern, wie das rätselhafte Partikel mit dem Namen Z(3900) beweist.
Das bislang unbekannte Teilchen wurde sowohl beim Belle-Experiment in Japan als auch am Beijing Spectrometer III in China nachgewiesen. In beiden Fällen handelt es sich um Beschleuniger, in denen Elektronen mit ihren Antiteilchen, den Positronen, kollidieren. In den Zerfallsprodukten konnten die Wissenschaftler das Teilchen nachweisen, über ihre Entdeckung berichten beide Forschergruppen nun im Fachblatt „Physical Review Letters“ (Paper 1, Paper 2).
„Zufällig arbeiten einige Wissenschaftler an beiden Beschleunigern, so hatte man die Gelegenheit, die Entdeckung gleich zu überprüfen“, sagt Sören Lange von der Universität Gießen. Er ist seit 15 Jahren am Belle-Experiment beteiligt und hat teilweise am japanischen Forschungszentrum für Teilchenphysik (KEK) nordöstlich von Tokio gearbeitet.
Die Physiker haben ihr Fundstück Z(3900) genannt, wobei 3900 für 3900 Megaelektronenvolt steht, also die Masse des Teilchens.
Z(3900) ist damit etwa viermal so schwer wie ein Proton. Es kann positiv oder negativ geladen sein und hat eine sehr kurze Lebensdauer, die schätzungsweise im Bereich von 10-23 Sekunden oder weniger liegt.
Vier Quarks nicht ausgeschlossen - Offensichtlich handelt es sich bei Z(3900) um eine bislang unbekannte Materieform. Das Standardmodell der Teilchenphysik liefert keine unmittelbar schlüssige Erklärung. Theoretiker haben aber bereits verschiedene Erklärungsansätze entwickelt. Einer besagt, dass das Teilchen aus vier Quarks zusammengesetzt sein könnte.
Das wäre ein Novum: Bisher kennen Physiker nur Partikel, die aus zwei oder aus drei Quarks bestehen. Laut Standardmodell gibt es sechs verschiedene Quarks (Up, Down, Charm, Strange, Top, Bottom). Ein Baryon wie beispielsweise das Proton ist aus drei Quarks zusammengesetzt. Mesonen hingegen wie das Pion oder das Kaon bestehen aus zwei Quarks. Partikel aus vier Quarks sind bislang unbekannt, aber keinesfalls ausgeschlossen.
„Die bisherige Erfahrung lehrt uns, dass Teilchen aus vier Quarks nicht existieren“, sagt Eric Swanson von der University of Pittsburgh. Aber die Situation könnte sich mit der neuen Entdeckung geändert haben. „Die Daten erlauben auch andere Interpretationen“, betont Swanson, es zeige sich aber, wie wenig man bislang über Quarks wisse.
Statt aus vier Quarks wäre Z(3900) auch als sogenanntes Hadron-Molekül vorstellbar. Es würde dann aus zwei Teilchen mit je zwei Quarks bestehen. „Jeder Forscher hat da seine Präferenz“, sagt der Gießener Forscher Lange. „Ich glaube, dass es am ehesten ein solches Molekül sein könnte, da die Bindungsenergie so gering zu sein scheint.“
Die Entdeckung war ein aufwendiges Puzzlespiel. Millionen von Zerfällen wurden an den Beschleunigern in China und Japan registriert. Zusammen genommen nur 466-mal wurden dabei Events erfasst, bei denen es sich um Z(3900) handelte. Die Auswertung der Messdaten dauerte so lange, dass die Forscher die Entdeckung des neuen Teilchens erst knapp drei Jahre nach Beendigung des Bell-Experiments in Japan verkünden konnten. Der Beschleuniger in Tsukuba, 60 Kilometer nordöstlich von Tokio, wird derzeit technisch aufgerüstet, um 2015 als Belle-2 neu zu starten.
Wie so oft in der Wissenschaft spielte auch bei Z(3900) der Zufall eine Rolle. Ursprünglich wollten die Forscher das mysteriöse Teilchen mit dem Namen Y(4260) genauer untersuchen, das bereits 2005 beim BaBar-Experiment in Kalifornien gefunden worden war. Bei der Auswertung der Zerfallsdaten stießen die Wissenschaftler dann auf Z(3900).