WELT
US-Justizministerin ist Job los

Washington, 31. Januar, AZERTAC
Die beispiellose Meldung kam am späten Abend: Sally Yates, die amtierende US-Justizministerin, habe die Regierung "verraten", erklärte das Weiße Haus dramatisch. Weshalb Präsident Donald Trump sie umgehend "von ihren Pflichten entbunden" habe.
So etwas hat Washington seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Es war, als seien die düsteren Rachezeiten Richard Nixons zurückgekehrt.
Yates, noch von Barack Obama zur stellvertretenden Generalstaatsanwältin ernannt, sollte die Behörde führen, bis Trumps designierter Justizminister Jeff Sessions im Amt ist. Ihr "Verrat": Sie hatte sich gegen das kontroverse Einreise-Dekret gestellt. Prompt war sie ihren Job los.
Dazu hat Trump natürlich das Recht. Doch der Fall zeigt, wie schnell Trumps noch junge Präsidentschaft schon jetzt, nach nicht mal zwei Wochen, "im Chaos" versinkt, wie es der legendäre Watergate-Reporter Carl Bernstein im TV-Sender CNN sagte.
Die offene Revolte hat begonnen - In der Tat ist Yates' Widerstand kein Einzelfall mehr. Auch im verwaisten US-Außenministerium, offenbar auch im Pentagon und anderswo im Apparat wächst die Gegenwehr gegen das atemberaubende Wirrwarr aus Erlassen, Eklats und Empörung, das Trumps Amtsbeginn prägte. Und auch diesen Dissidenten wurde prompt mit Entlassung gedroht, von der Kanzel des Weißen Hauses herab.
Wer da am Ende siegen wird, weiß keiner. Fest steht: Das etablierte Washington hat eine offene Revolte gegen Trump begonnen. Selbst bisher Trump-nahe Akteure begehren auf. Darunter, so heißt es, der designierte Außenminister Rex Tillerson, Pentagon-Boss James Mattis und Heimatschutzminister John Kelly, die sich zumindest intern von dem Einreise-Debakel des Wochenendes distanzierten.
Das Dekret ist nur der bisher eklatanteste Fall. Auch andere Aktionen Trumps verstören, haben sie doch offensichtlich beklemmende historische Parallelen: Zentralisierte Machtfülle in Händen einer kleinen Clique; systematische Unterdrückung von Widerspruch auch in den eigenen Reihen; Beseitigung der Kontrollfunktion von Medien und Justiz; Ausgrenzung nicht-christlicher, nicht-weißer Minderheiten. Die Umrisse sind bereits längst deutlich:
Ob Mauerbau oder Einwanderungsstopp: Trumps Dekrete sind konsequente Fortsetzungen seiner radikalen Wahlversprechen. Alle Illusionen, er werde sich im Weißen Haus "normalisieren", werde sich republikanischer Partei-Orthodoxie unterordnen oder gar den demokratischen Normen der USA, sind endgültig zerstoben.
Trumps Top-Berater, der rechtsnationale Propagandist Stephen Bannon oder die frühere Wahlkampfchefin Kellyanne Conway haben sich enorme Machtfülle im Weißen Haus gesichert. Nach seiner Benennung zum Chefberater bekam Bannon nun einen festen Platz im Nationalen Sicherheitsrat, obwohl er keinerlei außenpolitische Erfahrung hat. Bannon war nach US-Medienberichten auch einer der Autoren des Einreise-Dekrets. Nichts scheint hier Zufall oder Hast.
Darüber hinaus trifft nur ein kleiner, unerfahrener, erzkonservativer Machtzirkel um Trump politische Entscheidungen, am Kongress und den erfahrenen Beamten Washingtons vorbei. Während diese Gruppe mit ihren Dekreten vollendete Tatsachen zu schaffen versucht, bleiben die Chefetagen vieler Ministerien gelähmt. Als jetzt eine Hundertschaft altgedienter Diplomaten im State Department formell gegen den Einreise-Erlass protestierte, drohte ihnen Trump-Sprecher Sean Spicer im Fernsehen mit fristloser Entlassung.
Trump führt einen offenen "Krieg" gegen die Medien und ihre demokratische Kontrollfunktion. Fast täglich wettert er gegen die "New York Times" und CNN und drohte jetzt sogar mit einer klassisch-totalitären Methode der Gleichschaltung. Man müsse missliebige Publikationen aufkaufen und auf Linie bringen - oder einstellen. Schon kurz nach der Wahl traf er sich mit dem mexikanischen Milliardär Carlos Slim, Mehrheitsaktionär der "Times", und Jeff Bezos, dem Verleger der "Washington Post", beides Kritiker. Zufall?
Trumps rechtes Team um Bannon führt einen weniger offenen Krieg gegen religiöse Minderheiten. Die Einreisesperre richtet sich zwar nicht konkret gegen Muslime, sondern gegen sieben Staaten. Doch enthüllte Trump-Berater Rudy Giuliani, dass das nur eine "legale" Verklausulierung eines ansonsten verfassungswidrigen Religionsverbots sei. Christen werden außerdem bevorzugt ins Land gelassen.
Trump bereitet die Ausgrenzung und Kriminalisierung anderer Minderheiten vor. Seine Warnung: notfalls staatliche Truppen in die Gang-Reviere Chicagos zu entsenden. In Wahrheit sinken Mordraten in den meisten "inner cities". Trumps Verzerrung der Wahrheit richtet sich unzweideutig gegen Schwarze und Latinos.
Trump rüstet das Militär und das US-Atomarsenal auf - auch, um Amerika auf einen Krieg mit, wie er sagte, "fast gleichrangigen Rivalen" (Russland, China) vorzubereiten. Auch deutete Trump-Beraterin Kellyanne Conway an, er plane seinen eigenen Sicherheits- und Geheimdienst - als Alternative zum Secret Service und den unabhängigeren US-Geheimdiensten.
Was bedeutet das alles? Ist es entweder, so Eliot Cohen im "Atlantic", ein in Trumps Charakter begründetes Chaos, das schließlich zu Gewalt, Unruhen und Kriegen führen werde? Oder ist es, wie Yonatan Zunger auf der Website "Medium" mutmaßt, die "Generalprobe für einen Putsch gegen die Vereinigten Staaten"?
Fest steht: Während die Massenproteste auf den Straßen anhalten und der Unmut auch in der US-Wirtschaft immer lauter wächst, will sich nun selbst das politische Washington offenbar nicht ganz widerstandslos von Trump unterjochen lassen.
Sally Yates wusste genau, was ihr drohte, und wird bereits als Heldin gefeiert. Sie dürfte nicht die Letzte gewesen sein.
Yusif Babanly, AZERTAC
Washington