WISSENSCHAFT UND BILDUNG
"Hobbit" lebte doch viel früher als bisher angenommen
Baku, 31. März, AZERTAC
Es war eine Sensation als im Jahr 2003 australische Wissenschaftler in einer Höhle auf der indonesischen Halbinsel Flores die fossilen Überreste zwergwüchsiger Frühmenschen bargen, die nach Meinung der Entdecker nicht dem Homo sapiens zuzuordnen sind. Homo floresiensis, so der Name der neuen Hominidenart - wegen seiner geringen Größe auch als "Hobbit" bezeichnet -, sollte dort vor 18.000 Jahren und damit parallel zum modernen Menschen gelebt haben. Nach heutigem Wissen hat der moderne Mensch den australischen Kontinent und Südostasien vor etwa 50.000 Jahren erreicht. Doch ein internationales Forscherteam kommt nun zu einem anderen Ergebnis. Danach sind die Knochen von Homo floresiensis mindestens 50.000 Jahre alt. Damit scheint es unwahrscheinlich, dass der Hobbit und der Homo sapiens zur gleichen Zeit Südostasien durchstreiften und miteinander Kontakt hatten.
Der Fund in der Höhle Liang Bua auf Flores war schon aus anatomischen Gesichtspunkten außergewöhnlich. So brachte es Homo floresiensis auf eine Körpergröße von nur rund einem Meter, sein Gewicht dürfte etwa 25 Kilogramm betragen haben. Am meisten überraschte die Forscher sein winziger Schädel, in dem nur ein 400 Gramm schweres Gehirn Platz hatte, wie man es bei Schimpansen vorfindet. Insgesamt ähnelte der Hobbit eher Urmenschen, die Afrika und Asien vor über einer Million Jahren besiedelt hatten, als dem Homo sapiens. Fachleute hatte besonders das geschätzte Alter der Knochen von nur 18.000 Jahren erstaunt, denn das hieße, dass der Homo floresiensis und Homo sapiens einige zehntausend Jahre lang in Nachbarschaft lebten. War der „Hobbit“ ein moderner Mensch mit Pygmäenstatur, wie sie noch heute auf Flores leben oder ein Homo erectus in Zwergengestalt? Die Debatte ist nun durch die Erkenntnisse von Thomas Sutikna von der University of Wollongong in New South Wales und seinen Kollegen neu entfacht worden.
Acht Jahre lang analysierten die Wissenschaftler die fossilen Knochen des Hobbit, die aufgefundenen Steinwerkzeuge und die umliegenden Erdschichten in der Höhle Liang Bua von Neuem. Ihr Ergebnis: Die Knochen und die zugehörigen Erdschichten haben ein Alter von etwa 60.000 bis 100.000 Jahren. Die Steinwerkzeuge, die man dem Hobbit zuschreibt, seien etwa 50.000 bis 190.000 Jahre alt.
Der Grund für die frühere, wesentlich jüngere Datierung gehe auf die falsche Zuordnung der Erdschichten zurück, schreiben die Forscher um Sutikna in der Zeitschrift „Nature“ (doi: 10.1038/nature17179). Ein Teil des Höhlenbodens sei erodiert und hatte sich im Laufe der Jahrtausende mit jüngerem Erdmaterial gefüllt und dadurch stark verändert. Das sei nach Ansicht der Forscher bei den ersten Ausgrabungen in den Jahren 2001 bis 2004 offenbar nicht erkannt worden.
Doch auch die neue Datierung wirft Fragen auf. So ist es durchaus möglich, dass der Hobbit ebenfalls den längst ausgestorbenen Denisova-Menschen oder anderen Frühmenschen, die damals Teile von Südostasien besiedelten, begegnet ist. Aber ob er tatsächlich Vertreter von Homo sapiens getroffen ist, bleibt weiterhin unklar.
Für viele Forscher, die an der ursprünglichen Datierung gezweifelt haben, passen die neuen Daten besser in das Gesamtbild der Evolution des Menschen. „Ich habe das Alter von 18 000 Jahren nie geglaubt“, sagt der Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie der Nachrichtenagentur dpa. „Bei seiner Ausbreitung um die Erde hat der Homo sapiens jede einzelne Menschenart auf seinem Weg verdrängt, etwa die Denisova-Menschen und die Neandertaler. Die Vorstellung, dass er mit dem Hobbit Zehntausende Jahre koexistiert haben soll, war einfach merkwürdig. Nun haben wir die Antwort. Ich bin froh, dass das Team die Schichtung in der Höhle geklärt hat.“