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Im Mutterleib entscheidet sich, wer krank wird
Baku, den 16. Juli (AZERTAG). Kleine Unterschiede im Bauch der Mutter bestimmen das Schicksal, das zeigt eine Studie an Zwillingen. In Babys mit dem gleichen Erbgut werden verschiedene Gene an- und abgeschaltet. Die Unterschiede können einen großen Effekt auf die Gesundheit haben.
In den Genen ist festgeschrieben, was aus uns wird: Welche Haar- und Augenfarbe wir bekommen - aber auch, für welche Krankheiten wir besonders anfällig sind. Doch bereits im Bauch der Mutter kommt es etwa aufgrund von Umwelteinflüssen zu Veränderungen am Erbgut. Dabei wird nicht die Bausteinfolge im Gen selbst verändert, sondern seine Aktivität - derartige nachträgliche Prozesse interessieren Epigenetiker.
Ein internationales Forscherteam konnte nun erstmals zeigen, dass selbst in eineiigen Zwillingen direkt nach der Geburt unterschiedliche Gene aktiv sind. „Genetisch identische Menschen kommen mit sehr unterschiedlichen epigenetischen Voraussetzungen zur Welt - und zwar nicht nur auf einzelne Gene bezogen, sondern über das gesamte Genom hinweg“, schreiben Wissenschaftler um Jeffrey Craig vom Murdoch Childrens Research Institute (MCRI) in Parkville, Australien, im Fachmagazin “Genome Research“.
„Ein Zwilling muss also im Mutterleib anderen Einflüssen ausgesetzt gewesen sein, als der andere“, sagt Craig. Die Forscher folgern aus ihren Beobachtungen, dass einmalige Erfahrungen in der Gebärmutter einen großen Effekt auf die Gesundheit haben können.
Ob sich im Mutterleib ein Gen abschaltet, entscheiden Moleküle. Sie hängen sich ans Erbgut - die DNA - und verhindern damit, dass die Informationen aus dem Erbgut vom Körper erkannt werden. Dieser Vorgang - die sogenannte Epigenetik - bestimmt wesentlich die körperliche Entwicklung oder den Alterungsprozess.
Leichte Neugeborene werden häufiger herzkrank-Beeinflusst wird die Epigenetik von der Nahrung oder auch Hormonen, denen Ungeborene im Mutterleib ausgesetzt sind. Untersuchungen an Tieren hatten gezeigt, dass Umwelteinflüsse das epigenetische Profil schon in der Gebärmutter prägen.
Die Forscher um Jeffrey Craig haben nun erstmals das ganze Erbgut von Neugeborenen auf angeschaltete und abgeschaltete Gene untersucht: Dazu analysierten die Wissenschaftler Gene von Zellen aus dem Nabelschnurgewebe, dem Nabelschnurblut und der Plazenta von insgesamt 34 neugeborenen eineiigen und zweieigen Zwillingen und fanden Unterschiede in der Epigenetik.
Warum aber entwickeln sich genetisch identische Zellen, die in der gleichen Gebärmutter heranreifen, so unterschiedlich? „Obwohl sich Zwillinge eine Gebärmutter teilen, können Stoffe aus der Plazenta oder der Nabelschnur jeden Fötus unterschiedlich beeinflussen und dessen Epigenetik verändern“, erklärt Craig.
Bei ihren Genanalysen fand das internationale Forscherteam auch eine Erklärung, warum leichte Neugeborene häufiger an Herzkrankheiten oder Diabetes erkranken. Der Zusammenhang ist bereits länger bekannt, nur ist nicht abschließend geklärt, wie die Faktoren zusammenhängen. Die Wissenschaftler haben jetzt eine neue Spur: Offenbar spielen Gene, die das Geburtsgewicht beeinflussen, gleichzeitig eine Rolle beim Wachstum, im Stoffwechsel und bei Krankheiten der Herzkranzgefäße.
„Unsere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass man Krankheitsrisiken schon kurz nach der Geburt identifizieren kann“, sagt Richard Saffery, ebenfalls Forscher am MCRI. „Die Ergebnisse könnten helfen, den Ausbruch von Krankheiten zu verhindern, indem Umwelteinflüsse und Ernährung der Neugeborenen an die bekannten Risiken angepasst werden.“