WELT
Afghanische Behörden lassen führende Taliban laufen
Baku, den 30. November (AZERTAG). Afghanische Sicherheitskräfte lassen nach Reuters-Informationen inhaftierte Mitglieder der radikal-islamischen Taliban für Geld oder aus politischen Gründen laufen.
An den Freilassungen sind auch Präsident Hamid Karsai und sein Halbbruder Ahmed Wali Karsai beteiligt, wie die Nachrichtenagentur Reuters aus mehreren Quellen erfuhr. Den Recherchen zufolge behindern ein kompliziertes System von Abhängigkeiten und die verbreitete Korruption den Kampf gegen die Aufständischen.
So nahmen kanadische Truppen im März den führenden Taliban Ghulam Haidar in der Region Kandahar fest und übergaben ihn an afghanische Behörden, anscheinend ohne seine genaue Identität zu erkennen. Wenige Tage später wurde Haidar den Informationen zufolge auf Initiative von Ahmed Wali Karsai freigelassen. Karsai ist Chef des Provinzrates von Kandahar.
In einem Reuters-Interview bestritt er, etwas mit der Freilassung zu tun zu haben. Er wäre der Letzte, der Taliban freilassen würde und sei für eine härtere Linie gegen sie, sagte Karsai. Das afghanische Verteidigungsministerium, das Präsidialamt, der Sicherheitsrat und die internationale Isaf-Truppe äußerten sich nicht zu den Reuters-Informationen. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte, es sei nicht an Freilassungen von Taliban beteiligt.
Experten zufolge haben die extremistischen Taliban sogar eine eigene Kommission für inhaftierte Glaubensbrüder, die auch für ihre Freilassung zuständig ist. Dies zeige, dass die Taliban dabei ganz systematisch vorgingen und nicht nur gelegentliche Erfolge hätten, sagte Michael Semple, der an der Harvard-Universität forscht.
Ein hochrangiger Talibans wurde 2007 auf Initiative von Präsident Karsai freigelassen. Dabei handelte es sich um einen Anführer namens Dastagir im Nordwesten des Landes. Dorfälteste hatten Karsai versprochen, der Gewalt abzuschwören. Nach seiner Rückkehr in den Kampf war Dastagir unter anderem für den Tod von 32 afghanischen Polizisten verantwortlich. 2009 wurde er schließlich getötet.
Die Freilassungen werfen auch die Frage auf, ob afghanische Sicherheitskräfte ab 2014 die Verantwortung für das Land übernehmen können. Die USA wollen im kommenden Jahr mit dem Abzug ihrer Soldaten beginnen. Afghanische und internationale Truppen befinden sich seit mehr als neun Jahren im Krieg mit den Taliban und den Al-Kaida-Extremisten. Noch nie zuvor mussten die internationalen Einheiten so viele Todesopfer wie in diesem Jahr beklagen. Auch die Bundeswehr wird immer wieder von Kämpfern der Taliban angegriffen.